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Die Volksblatt-Schlagzeile am nächsten Tag lautete «Ja zu Fürst undVolk, oder?», auf Seite 3 «Mit oder ohne Fürstenhaus?».181 Ursula Wach-ter und Carl Walser von der Initiative für Verfassungsfrieden stellten sichin der zweiten Sendung den Fragen der Chefredaktoren der beiden Landeszeitungen, Martin Frommelt und Günther Fritz. Fürst Hans-Adam II. und Erbprinz Alois taten dies in der dritten Sendung. Die Mo-dera tion lag jeweils bei Bettina Walch.Gegner wie Befürworter mobilisierten auf den 12. März zuSchlussveranstaltungen. Die Demokratiebewegung lud in die Spoerry-halle nach Vaduz ein, wo ein «DemokratieManiFest»182 verabschiedetwurde. Die Bürgerbewegung Duales Liechtenstein rief zu einer Ver-sammlung auf dem Rathausplatz in Vaduz auf, wo als Gast auch dasFürstenpaar und der Erbprinz zugegen waren. In einem Zeitungsinseratwurde ausserdem dazu aufgerufen, am Abstimmungswochenende «einpatriotisches Zeichen zu setzen und die Häuser zu beflaggen»,183 womitein weiteres Mal ausgedrückt wurde, dass die nationalen Interessen mitder Fürsteninitiative identisch seien. Die Schlagzeilen in den Landeszei-tungen zeigten wiederum deutlich die Positionierung der beiden Zeitun-gen. Das Liechtensteiner Vaterland titelte «Demokratiebewegung ingrossartiger Verfassung», während das Liechtensteiner Volksblatt dieSchlagzeile kreierte: «Nein löst keine Probleme».184 «64,3 Prozent für dieFürsteninitiative» titelte am Montag nach der Abstimmung das Liech-tensteiner Vaterland. Das Liechtensteiner Volksblatt blieb der eigenenMarschrichtung treu mit der Schlagzeile: «JA zu Fürst und Volk». Erstder Untertitel verriet, worüber abgestimmt worden war: «DeutlicheZweidrittelmehrheit für Volksinitiative des Fürstenhauses».185177Akteure, Frames und Kommunikationsstrategien181 Liechtensteiner Volksblatt, 12. März 2003.182 Das DemokratieManiFest war gleichzeitig eine Veranstaltung (Fest) der Gegner derFürsteninitiative und eine Erklärung (Manifest) zur Verfassungsabstimmung vomfolgenden Wochenende. Die zehn Organisationen, die zur Veranstaltung einluden,waren: Arbeitskreis Demokratie und Monarchie, Demokratie-Sekretariat, Frauen inguter Verfassung, Freie Liste, Gruppe Wilhelm Beck, Initiativkomitee Verfassungs-frieden, jung.initiativ.informiert, Subversive Enten, Vaterländische Union und Ver-ein Trachter.183 Liechtensteiner Volksblatt, 14. März 2003.184 Liechtensteiner Vaterland / Volksblatt, 13. März 2003.185 Liechtensteiner Vaterland / Volksblatt, 17. März 2003.
5.2 Medienöffentlichkeit: Intensität und Inhalt von Presse -berichterstattung und KampagnenkommunikationDer erste Blick gilt der Intensität der Presseberichterstattung zum Ver-fassungsthema und mithin der These, dass direktdemokratische Ent-scheidungsprozesse eine merkliche Intensivierung medienöffentlicherKommunikation bewirken, die es erlaubt, den zur Rede stehenden Sach-verhalt über einen längeren Zeitraum aus einer Vielzahl von Perspekti-ven zu beleuchten. Direkte Demokratie setzt damit annahmegemäss dermedialen Neophilie, die ständig neue Themen kurzfristig anzureissenund ebenso schnell wieder auszuscheiden gewohnt ist, einen institutio-nellen Kontrapunkt entgegen. Dabei ist zu erwarten, dass die Dichte derKommunikation mit der Nähe zum Abstimmungszeitpunkt zunimmt.Die nachfolgende Grafik zeigt das Engagement der Liechtensteiner Lan-despresse über einen Zeitraum von knapp 39 Monaten anhand von dreiKennzahlen: der Zahl der veröffentlichen Zeitungsbeiträge (Berichte, In-terviews, Kommentare, Leserbriefe u. a.), der Anzahl personal zure-chenbarer Stellungnahmen der Beteiligten und Betroffenen in den ent-sprechenden Beiträgen und schliesslich des Umfangs der Berichterstat-tung, berechnet in Quadratzentimetern Zeitungsfläche. Der beinahevollständig parallele Linienverlauf belegt zunächst, dass alle drei Indika-toren das Presseengagement gleich gut abbilden, weshalb alle weiterenAuswertungen (sofern nicht ausdrücklich anders vermerkt) mit der ur-sprüng lichen Erhebungseinheit («Stellungnahmen») gerechnet werden.Darüber hinaus weisen die Linien auf einen recht unsteten Verlauf der Berichterstattung hin, der insoweit mit dem wechselvollen politischenProzess konvergiert. Über alle Ausschläge hinweg ist allerdings unüber-sehbar, dass die Presseaufmerksamkeit für das Verfassungsthema imZeitverlauf zugenommen hat. Das wird besonders deutlich durch die zu-sätzlich berechnete Trendlinie (Basis: Stellungnahmen) belegt. Dabei hatdas Presseengagement wie erwartet in der eigentlichen Referendums-phase, deren Beginn durch die Anmeldung der fürstlichen Verfassungs-initiative im August 2002 markiert wird, an Dynamik und Umfang ge-wonnen und schliesslich im Abstimmungsmonat März 2003 ihren Hö-hepunkt erreicht (Abb. 5). Dieser Befund, der an sich für die Vermutungder kommunikativ belebenden Wirkung direktdemokratischer Verfah-ren spricht, wird dadurch relativiert, dass auch der parlamentarischeProzess, in unserem Fall die erste Lesung der Regierungsvorlage durch178Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess
den Liechtensteiner Landtag im Dezember 2001, ein beinahe ebensostarkes Echo in der öffentlichen Kommunikation ausgelöst hatte. Aller-dings war diese Resonanz eher kurzfristiger Natur und schwächte sichin den folgenden Wochen und Monaten ebenso schnell wieder ab, wie sieim unmittelbaren zeitlichen Umfeld des parlamentarischen Ereignissesangeschwollen war. Generell erscheint die Ereignisabhängigkeit der öf-fentlichen Debatte das prägendste Element von vorplebiszitären Phasenzu sein. Die Aufmerksamkeit der Zeitungen steigt immer dann an, wennder politische Prozess Anlässe bietet, zu denen Beteiligte und BetroffeneStellung nehmen können und wollen. Dazu zählt etwa die Feststellungdes Scheiterns der Gespräche zwischen der Verfassungskommission desLandtages und dem Fürstenhaus im April 2000, der Versand des «grünenBüchleins» samt Begleitschreiben an alle Haushalte durch das Fürsten-haus im März 2001, die Verkündigung der vermeintlichen Lösung des179Medienöffentlichkeit0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 Beiträge (N = 2.132) Stellungnahmen (N = 3.893) Umfang (N = 79.655) Linearer Trend (Stellungnahmen) Jan 03 Okt 02 Jul 02 Apr 02 Jan 02 Okt 01 Jul 01 Apr 01 Jan 01 Okt 00 Jul 00 Apr 00 Jan 00 Abbildung 5: Entwicklung der Medienberichterstattung zum Verfassungs-konflikt in den Landeszeitungen, 2000–2003 (Anzahl Stellungnahmen bzw.Quadratzentimeter Umfang, um Faktor 10 verkleinert)186186 Um den in Spaltenzentimetern gemessenen Umfang in der gleichen Grafik darstel-len zu können, sind die monatsweise aggregierten Messwerte durch den Faktor 10dividiert worden.
Verfassungskonflikts durch Landtagspräsident und Landesfürst amStaatsfeiertag im August 2001 oder die erwähnte Landtagsdebatte imDezember des gleichen Jahres. Sie schwächt sich umgekehrt dann ab,wenn die Politik keine Neuigkeiten produziert oder sich selbst Vertrau-lichkeit verordnet.So kam die öffentliche Debatte zur Verfassungsfrage bis auf einigewenige Äusserungen im Wahlkampf (Januar / Februar) 2001 von Mitte2000 bis zum Sommer 2001 – zumindest was Redebeiträge der unmittel-bar beteiligten Entscheidungsträger angeht, die sich in der Regel über dieredaktionellen Teile der Presse artikulieren – beinahe vollständig zumErliegen. Diesen ungewöhnlichen und zudem einhellig von beiden do-minierenden Inlandsmedien geübten Akt der Selbstzensur illustriert Ab-bildung 6, in der ausschliesslich die redaktionellen Eigenbeiträge derLandeszeitungen ausgewiesen sind. Das hier sichtbare Öffentlichkeits-loch umfasst dabei nicht nur die Landtagswahl, deren Ergebnis (Über-nahme der Regierung durch die traditionell fürstenfreundlichere Bür-gerpartei) im Nachhinein als entscheidende Weichenstellung für denVerfassungskonflikt erkennbar wurde, sondern auch die ebenfalls vor-entscheidenden Verhandlungen des Fürsten mit dem Forum Liechten-stein. Diese wichtige Phase des Verfassungsprozesses musste – auf poli-tisches Betreiben – ohne journalistische Begleitung auskommen, wobeidie Zeitungen dem Publikum ihre Enthaltsamkeit als Beitrag zur Staats-räson erklärten.In dieser Zeit versuchten die aktiven Teile des politischen Publi-kums, die politische Öffentlichkeit zum Verfassungsthema in den Leser-briefspalten und über eingesandte Mitteilung am Leben zu erhalten undwaren damit zumindest zeitweise, wenn auch in relativ bescheidenemUmfang, erfolgreich. Auch in der folgenden Abbildung wird deutlich,dass der direktdemokratische Prozess ein über mehrere Monate anhal-tendes und vergleichsweise intensives Presseengagement auslöste, daszwar ebenfalls ereignisabhängigen Schwankungen ausgesetzt, aber auf(quantitativ) erkennbar höherem Niveau angesiedelt war. Bemerkens-wert ist schliesslich auch, dass das kommunikative Feld gerade in denletzten Wochen von den betroffenen Bürgern und nicht etabliertenGruppen beherrscht wurde, die sich über Leserbriefe und eingesandteMitteilungen zu Wort melden, während die unmittelbar beteiligtenKampagnenakteure die Medienöffentlichkeit verliessen und vermehrtauf bezahlte Werbemittel (Inserate, Plakate) umschalteten. Jedenfalls180Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess
181Medienöffentlichkeit0 15 30 45 60 75 90 Eigenbeiträge gesamt (N = 604) Eigenbeiträge VB (N = 264) Eigenbeiträge VL (N = 340) Jan 03 Okt 02 Jul 02 Apr 02 Jan 02 Okt 01 Jul 01 Apr 01 Jan 01 Okt 00 Jul 00 Apr 00 Jan 00 Abbildung 6: Eigenbeiträge von Vaterland und Volksblatt, 2000–2003 (Anzahl)Abbildung 7: Entwicklung der Medienberichterstattung nach Phasen im Entscheidungsprozess, 2000–2003 (Anzahl)0 200 400 600 800 1000 1200 1400 Verhandlungsphase Parlamentarische Phase Plebiszitäre Phase in redaktionellen Beiträgen in Fremdbeiträgen
schwoll der generelle Medienoutput, wie ein abschliessender Vergleichder beiden Grafiken zeigt, gerade in den letzten sechs bis acht Wochennoch einmal kräftig an, während die Umfänge redaktioneller Eigenleis-tungen bei beiden Blätter ab Jahresbeginn 2003 eher abnahmen.Der Blick auf die jeweiligen «Informationsanlässe» – darunter wer-den diejenigen Ereignisse verstanden, welche die Berichterstattung un-mittelbar ausgelöst haben – bestätigt die eben formulierten Vermutun-gen. Die Variable wurde auf Artikelebene erfasst, und zwar nur dann,wenn der Auslöser zweifelsfrei identifiziert werden konnte. Aus diesemGrund werden in der folgenden Auswertung die Leserbriefe nicht be-rücksichtigt, weil bei ihnen in den allermeisten Fällen kein anderer An-lass erkennbar war, als dass ein Leser sich bemüssigt fühlte, seine Mei-nung zu veröffentlichen. Einer von Hans-Mathias Kepplinger (1998,170) entworfenen Typologisierung folgend, unterscheidet die Tabellezwischen drei Ereignistypen: genuine Ereignisse (Regierungshandeln,Landtagssitzung, Arbeit der Verfassungskommission etc.), die unabhän-gig vom Interesse der Medien stattfinden, mediatisierte Ereignisse (In-formationsveranstaltungen, Reden, Demonstrationen etc.), die einenWert in sich haben, aber dennoch auf Medienresonanz spekulieren, wiesich an Form und Aufmachung erkennen lässt, und schliesslich insze-nierte Ereignisse (Pressekonferenzen, Medienorientierungen, Pressemit-teilungen etc.), die speziell für die Medien gemacht werden und ohne de-ren Aufmerksamkeit gar nicht stattfinden würden.Im Vergleich beider Inlandszeitungen (Tab. 12) fällt dreierlei auf,zunächst die vollständige Identität in den Proportionen. Der Befund ver-weist darauf, dass beide Zeitungen gleichsam reflexartig auf die gleichenEreignisse reagieren und nichts auslassen können, was der Konkurrenzeine Meldung wert ist. Auffällig ist ausserdem, dass sich alle untersuch-ten Fälle beinahe ohne Rest auf diese drei Kategorien zuordnen lassen.Auf die Residualkategorie «Sonstige» entfallen rund zwei Prozent derBeiträge. Das heisst, Berichterstattung aus eigenem Antrieb, ohne auslö-sendes Ereignis, kam praktisch nicht vor. Und schliesslich war mehr alsdie Hälfte der Anlässe, die Berichterstattung erwirkten, unmittelbar aufÖffentlichkeitswirkung hin angelegt beziehungsweise verfolgten aus-schliesslich das Ziel, Resonanz der Medien zu erzeugen. Auch jenseitsder parteipolitischen Abhängigkeit war folglich die Aussensteuerung derBerichterstattung durch Ereignismanagement extrem hoch. Wie den üb-rigen drei Spalten zu entnehmen ist, gewinnt dieser Effekt im Abstim-182Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess
mungskampf der Schlussphase zusätzlich an Bedeutung. In dieser letz-ten Phase sind zwei Drittel aller Pressebeiträge durch inszenierte Ereig-nisse ausgelöst. Nimmt man die in dieser Phase anschwellende Flut derLeserbriefe hinzu, wird deutlich, dass die Hoheit über Themensetzung,Timing und Intensität der Berichterstattung beinahe vollständig auf aus-sermediale Akteure und die von ihnen inszenierten Ereignisse überge-gangen war. Berichterstattung aus Eigenantrieb ist eine Restgrösse, undauch die Zahl genuiner Ereignisse ist naturgemäss gering. Die Phase po-litischer Verhandlungen, mit ihrer grossen Zahl an nachrichtenwertenPräsenzveranstaltungen, und die parlamentarische Beratung (genuinesEreignis) der Regierungsvorlage erscheinen demgegenüber als politischeProzessperioden mit vergleichsweise geringem Inszenierungsgrad.Medienagenda und Medienframing: Das Bild der Verfassungs -reform im PressespiegelDie sachliche Struktur der Presseberichterstattung kann in einem erstenZugriff anhand der Themenvariable aufgeschlüsselt werden. Sie unter-scheidet eine Vielzahl von Einzelthemen, die im Rahmen der mehrjähri-gen Verfassungsdiskussion die öffentliche Kommunikation beschäftig-ten. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die Ausprägungen zudrei grossen Themenblöcken zusammengefasst: «Substantielle Verfas-183MedienöffentlichkeitTabelle 12: Informationsanlässe von Presseberichterstattung 2000–2003 (in Prozent)Quelle PhaseVolksblatt Vaterland Verhand- parlamen- plebiszitäre lungsphase tarische Phase PhaseTätigkeit der politischen Insti- 13.2 12.4 14.5 24.7 7.8tutionen / Genuine EreignisseÖffentlichkeitsbezogene Anlässe / 29.4 30.0 50.7 25.1 24.9Mediatisierte EreignisseMedienbezogene Anlässe / 55.4 55.4 32.1 45.9 66.4Inszenierte EreignisseSonstige 1.4 2.5 2.7 4.3 0.9N 567 597 221 255 688
sungsfragen» bezeichnen alle verfassungspolitischen Detailregelungen,die den eigentlichen Gegenstand der Reform bildeten. Darüber hinauswerden unter diesem Label alle Erwähnungen der Themen Machtvertei-lung (zwischen den Verfassungsorganen) und Staatsform (Balance derDualität von Demokratie und Monarchie) erfasst, auch wenn sie nichtauf eine konkrete Verfassungsbestimmung Bezug nehmen. «Verfahrens-fragen» umfassen die Einzelthemen politischer Prozesse (Verhandlungs-lösung, parlamentarische Beratung, Volksinitiative samt Gegeninitia-tive), das Handeln politischer Akteure (Parteien, Fürst, Regierung, par-lamentarische Gremien etc.) und schwergewichtig Formen und Folgender politischen Auseinandersetzung (Kampagnenaktivitäten, Kommuni-kationsstile, Uneinigkeit und Zerstrittenheit etc.). Unter dem Etikett«Vertrauensfrage» werden schliesslich alle Thematisierungen der Hal-tung zu und des Schicksals von Landesfürst Hans-Adam II. und Ange-hörigen seiner Familie unter Einschluss der Wohnsitzfrage zusammen-gezogen (Vertrauen, Dankbarkeit, Loyalität, Heimat, Identität etc.). Zu-sätzlich zu den Proportionen dieser drei Themengebiete weist die fol-gende Tabelle Anteilswerte für die jeweils wichtigsten Einzelthemen in-nerhalb der Blöcke aus. Die Auswertung beruht auf 6882 Thematisie-rungen in 3893 Stellungnahmen (Mehrfachnennungen möglich).Im Vergleich der beiden Landeszeitungen fällt zunächst die beinahevollständige Identität der inhaltlichen Strukturen auf. Das ist offensicht-lich nicht nur ein Effekt der Veröffentlichung identischer Zulieferbei-träge, wie ein Blick auf die nächsten beiden Spalten der Tabelle verdeut-licht. Vielmehr wirkt sich hier die Tatsache aus, dass beide Blätter regel-mässig über die gleichen Ereignisse berichten (müssen). Differenzen be-treffen allenfalls die Tonalität, Akzentuierung, Personenberücksichti-gung etc., aber eben nicht die Themenstruktur der Berichterstattung. Inbeiden Blättern haben der Verfahrensablauf mit seinen vielen Wendun-gen und (vor allem in den ersten eineinhalb Jahren) das Handeln der Ak-teure die grösste Aufmerksamkeit erfahren. Der Befund belegt insoweit,dass die Dokumentation und Kommentierung der parteipolitisch ge-prägten politics im Selbstverständnis des Liechtensteiner Journalismusals dessen eigentliches Kerngeschäft gilt. Die Thematisierungshäufigkeitder ursprünglichen Kernfragen der Verfassungsdiskussion ist aber nurunwesentlich geringer ausgeprägt. Mehr als 40 Prozent aller Nennungenentfielen auf verfassungspolitische und verfassungsrechtliche Details imUmkreis der Revision. Dabei genossen das Verfahren der Richterbestel-184Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess
lung, das absolute Veto des Landesfürsten im Gesetzgebungsprozessund das Auflösungsrecht des Staatsoberhaupts gegenüber Legislativeund Exekutive die höchste mediale Visibilität. Auch in den Details un-terschieden sich beide Landeszeitungen nicht überzufällig. Das giltschliesslich auch für die Thematisierungshäufigkeit fürstlich-familiärerFragen, die in Volksblatt und Vaterland jeweils rund ein Zehntel allerThematisierungen ausmachten (Tab. 13).Etwas mehr Differenz offenbart ein inhaltlicher Vergleich der Bei-tragsarten. Er weist aus, dass Leserbriefschreiber und Einsender von Me-dienmitteilungen dem Verlauf des Entscheidungsprozesses, dem politi-schen Klima im Land und insbesondere Stilfragen im Kontext der Ver-fassungsauseinandersetzung signifikant mehr Aufmerksamkeit einräum-ten als die Redaktionen der Landeszeitungen. Die Bürger nutzen augen-fällig die weithin offenen Leserbriefspalten, um aus der Beobachterposi-185MedienöffentlichkeitTabelle 13: Themenstruktur der Presseberichterstattung 2000–2003 (in Prozent)Quelle Beitragsart PhaseVolks- Vater- redak- zuge- Verhand- parlamen- plebis-blatt land tionelle lieferte lungs- tarische zitäre-Beiträge Beiträge phase- Phase PhaseSubstantielle 40.9 42.4 41.0 36.3 67.3 45.4 34.8VerfassungsfragenRichterbestellung 7.1 6.7 7.8 6.2 13.1 6.7 5.6Regierungsentlassung, Landtagsauflösung 5.2 5.8 6.3 2.9 8.4 5.8 4.8Notrecht 5.0 4.8 6.2 4.0 7.0 4.6 4.6Sanktionsverweigerung 4.8 5.1 5.5 4.5 5.5 4.2 5.1Gemeindesezession 3.6 3.9 4.9 2.9 11.0 4.3 2.0Verfahrensfragen 43.5 42.9 41.3 44.4 19.4 38.6 49.9Kommunikationsstil, Kampagne, politisches Klima 28.0 27.6 22.3 32.8 3.2 33.7 34.2Vertrauensfrage 10.6 10.8 7.5 13.2 8.8 10.3 11.3Wohnort Fürstenhaus 7.2 8.5 5.9 9.4 8.6 7.4 7.9Sonstiges 5.0 3.9 2.2 6.1 4.5 5.7 4.0Total 100 100 100 100 100 100 100N 3096 3786 2982 3900 963 1510 4409
tion heraus das Handeln der Politiker zu kommentieren. Darüber hinauswurde dieser Kanal aber auch benutzt, um Informationen und Meinun-gen zu substantiellen Sachfragen in die Debatte einzuspeisen. Mehr alsein Drittel aller Thematisierungen entfallen auf verfassungspolitischeund verfassungsrechtliche Fragen. Die Rolle der fürstlichen Familie inder Verfassungsdebatte und vorab die Wohnsitzfrage wurde von Bür-gern signifikant häufiger thematisiert als von den Journalisten, war aberweit davon entfernt, die öffentliche Kommunikation in diesem Segmentthematisch zu dominieren.Die wichtigste Erkenntnis dieser Tabelle liefert der Vergleich derThemenstruktur zwischen den drei zeitlichen Phasen der Verfassungs-diskussion. Er belegt, dass die eigentliche Thematik der Abstimmung imVerlauf des Prozesses mehr und mehr an Visibilität in der Medienöffent-lichkeit verlor, sodass im unmittelbaren zeitlichen Umfeld der Abstim-mung gerade noch ein Drittel der medienöffentlichen Stellungnahmenverfassungsrechtliche und verfassungspolitische Fragen thematisierte,zwei Drittel aber anderes. Die Medienaufmerksamkeit für die Verfas-sung reduzierte sich insoweit kontinuierlich von erstaunlich hohen 67 Prozent aller Themennennungen in der frühesten Prozessphase überweniger als 50 Prozent in der parlamentarischen Phase auf knapp 35 Pro-zent im letzten Zeitabschnitt. Würde man die Phasen noch feiner unter-teilen, träte die dramatische De-Thematisierung des sachlichen Gehaltsder Abstimmung durch die Presseberichterstattung der allerletzten Wo-chen noch deutlicher zu Tage. Dabei verschwanden die vieldiskutiertenEinzelfragen der Vorjahre, etwa die der neu einzuführenden Volksinitia-tive zur Monarchieabschaffung, der Misstrauensantrag gegen den Fürs-ten oder die Gemeindesezession, beinahe vollständig aus dem Blickfeldder Medien, nicht aber aus der Abstimmungsvorlage selbst. Im Gegen-zug gewann die Vertrauensfrage und mehr noch das Entscheidungsver-fahren an öffentlicher Aufmerksamkeit. Im Rahmen des letztgenanntenThemenblocks wurden dabei gerade in den letzten Wochen vor dem Ur-nengang vermehrt Fragen der Zulässigkeit einer gegen das Fürstenhausgerichteten politischen Position und Kampagne thematisiert, zum Teilvor dem Hintergrund historischer Erfahrungen («Fürstliche Familie hatimmer nur Gutes getan»), zum Teil im Hinblick auf kommende Ent-wicklungen («Ohne Fürst sind wir nichts»). Die Entwicklung der Me-dienpräsenz dieser beiden Themenblöcke indiziert deutlich, dass sich dieDebatte im Referendumsprozess vom sachlichen Gehalt der Vorlage weg186Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess
auf die Frage der Bedeutung und Stellung des Fürstenhauses im Liech-tensteiner Staatswesen hin verlagerte – eine Entwicklung der Themen s-truktur, die zum Auslöser folgenreicher Agenda-Setting-Effekte der Medien geworden sein könnte, denen später nachgegangen wird.Als Zwischenfazit kann festgehalten werden, dass mit der Nähezum Abstimmungszeitpunkt die medienöffentliche Kommunikationzwar dichter und intensiver wurde, zugleich aber die sachpolitischeKernthematik der Entscheidung zunehmend aus dem Fokus der Mediengeriet. Die Medienaufmerksamkeit für substantielle Verfassungsfragenhalbierte sich im Untersuchungszeitraum, sodass sie im letzten halbenJahr vor dem Urnengang noch einen Thematisierungsanteil von einemDrittel aufwies, während fast zwei Drittel aller Nennungen auf die Um-stände der Abstimmung oder auf die Haltung zum Hauptakteur Hans-Adam II. beziehungsweise zu seiner Familie entfielen. Obwohl interna-tionale Untersuchungen der Wahlkommunikation wiederholt belegt haben, dass in vielen europäischen Ländern der Wahlkampf selbst in derRegel das (quantitativ) bedeutsamste Thema der medialen Wahlbericht-erstattung ist, stellen die im Liechtensteiner Fall beobachteten Zahlengerade wegen des klar gerichteten Trends eine Besonderheit dar. Da dieLiechtensteiner Parteizeitungen, wie mehrfach dargelegt, den politischenEliten-Diskurs mehr spiegeln als selbständig formen und beeinflussen,liegt die Vermutung nahe, dass dieser Befund einer bewussten Kommu-nikationsstrategie der Ent-Sachlichung auf Seiten der Vorlagenbefür-worter geschuldet ist. Diese Annahme wird im Rahmen der Kampa-gnenanalyse zu überprüfen sein.Im zweiten Analyseschritt dieses Abschnitts geht es um die Frage,ob sich in der Presseberichterstattung strukturbildende Deutungen derVerfassungsfrage identifizieren lassen, die über ihre blosse sachlicheStrukturierung hinausgehen. Mit Problemen dieser Art beschäftigt sicheine weit verzweigte kommunikationswissenschaftliche Framing-For-schung, die neben Medieninhalten auch Kommunikationsstrategien aus-sermedialer Akteure sowie kognitive Strukturen von Journalisten undRezipienten untersucht. Im Zentrum des Interesses stehen die zentralen«organisierenden Ideen» (Gamson / Modigliani), mit deren Hilfe einThema (so und nicht anders) gerahmt wird. In der Medieninhaltsfor-schung wird zusätzlich zwischen Vermittlungsideen, etwa der Darstel-lung eines Abstimmungsprozesses als sportlicher Wettkampf (gamescheme) und inhaltsbezogenen Ideen, etwa die Thematisierung von Luft-187Medienöffentlichkeit
schadstoffen durch die Vorstellung von «Waldsterben» oder «Ozon-loch» unterschieden. Die folgenden Analysen beschäftigen sich aus-schliesslich mit dem inhaltsspezifischen Framing der Verfassungsfrage.Sie orientieren sich an einer Konzeptualisierung, die unter Medien-Frames eine überzufällige Kombination von Ideenelementen versteht.Einer häufig zitierten Definition Entmans (1993, 52) zufolge, werdenfolgende Bestandteile des Verfassungsreform-Frames unterschieden: die Problemidentifikation (um was geht es eigentlich bei der Verfas-sungsfrage, was sind die problematischen Aspekte?), die Kausalge-schichte (welches sind die Problemursachen, welche Problemwirkungensind zu erwarten?), die moralische Bewertung (was ist im Hinblick aufübergeordnete Werte von der Sache zu halten?) und die Handlungsemp-fehlung (wie kann oder soll man mit dem Problem umgehen, welcheProblemlösungen bieten sich an?). Das überzufällige Zusammenspielsolcher Ideenelemente in der öffentlichen Kommunikation bezeichnetman als einen themenspezifischen Frame. Er verleiht einem Sachverhalt(s)eine Bedeutung, die auch anders ausfallen könnte, wenn andere Ele-mente anders kombiniert würden. Da sich öffentliche Kommunikationaus unterschiedlichen Quellen speist, ist zu erwarten, dass eine Mehrzahlvon Frames kursieren, im Abstimmungsprozess zumindest je einer desPro- und des Contra-Lagers, die – wenn überhaupt – differente kogni-tive Effekte auf Seiten des Publikums stimulieren können.Die Presseinhaltsanalyse stellt eine Reihe von Kategorien zur Ver-fügung, mit deren Hilfe die genannten Ideenelemente operationalisiertwerden können. Die Problemidentifikation wird durch die schon bekannte Themenvariable abgebildet. Zwei weitere Variablen, die alleAussagen über Problemursachen und Problemfolgen anhand von achtAusprägungen erfassen, dienen zur Operationalisierung der Kausalitäts-dimension des Frames. Moralische Bewertungen werden über Stellung-nahmen operationalisiert, die schwere Schäden oder Gefährdungen desLandes (Verlust der staatlichen Souveränität, Wohlstandseinbussen, Demokratieabbau etc.) für den Fall der Annahme oder Ablehnung der fürstlichen Verfassungsinitiative prophezeiten. Eine Kategorie «Regelungsmodelle» erfasste jede Thematisierung von insgesamt fünfverschiedenen Verfahrensoptionen, die im Verlaufe des dreijährigen Prozesses zur Debatte standen. Sie dient zur Abbildung der Handlungs-empfehlungen. Alle Informationen über den Inhalt der Presseberichter-stattung wurden – wie im Methodenteil geschildert – auf Akteursebene188Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess
erhoben, nämlich als inhaltliche Merkmale der medienöffentlichen Stel-lungnahme eines identifizierten Akteurs. Offensichtlich macht es aberwenig Sinn, nach komplexen inhaltlichen Strukturmustern, wie sie einFrame darstellt, auf der Ebene von Einzeläusserungen zu suchen, die imExtremfall nur einen einzigen grammatikalischen Satz ausmachen kön-nen. Um das Framing im Kontext vollständiger journalistischer Texteuntersuchen zu können, mussten die notwendigen inhaltlichen Angabenzunächst auf Artikelebene übertragen werden. Zu diesem Zweck wur-den alle zuvor dichotomisierten kategorialen Variablen (sofern sie nichtbereits dichotom erfasst worden waren) mit Hilfe der Summenfunktionfür jeden einzelnen Zeitungsbeitrag aggregiert. Im neuen Datensatz bil-det der Zeitungsbeitrag den einzelnen Untersuchungsfall (N = 2132),die Angaben über seinen Inhalt beruhen auf der Zusammenfassung allerInformationen der problembezogenen Sprecheräusserungen, die im Bei-trag zitiert wurden. Wurden in einem Zeitungsartikel mehrere Sprecherzitiert, gehen alle von ihnen eingebrachten Informationen mit der ent-sprechenden Intensität in den Artikeldatensatz ein. Die neuen Variablensind folglich nicht mehr dichotom, sondern metrisch skaliert und rei-chen von 0 (keine Nennung eines Ideenelements) bis n (n Nennungendes Ideenelements). Für die statistische Analyse wurden alle Items be-nutzt, die in 100 Artikeln (oder fünf Prozent) mindestens einmal vorka-men. Alle anderen Elemente sind schon wegen ihrer geringen Visibilitätnicht ernsthaft als Bestandteile des medienöffentlichen Framings derVerfassungsfrage ansprechbar. Die verbliebenen 25 Variablen wurden in eine Hauptkomponenten-Faktoranalyse mit Varimax-Rotation undKaiser-Normalisierung eingegeben, um zu sehen, ob die Attribute ge-meinsame Dimensionen aufweisen, die sich inhaltlich plausibel als the-menspezifischer Deutungsrahmen interpretieren lassen.Die in Kapitel 5.1 geschilderten Erkenntnisse der teilnehmendenBeobachtung konturieren ein recht klares Bild der Framing-Strategienbeider Lager. Danach hatte insbesondere das Fürstenhaus eine von Be-ginn der Auseinandersetzung an klare Deutung der Verfassungsthematikvorgegeben, die bis zur Abstimmung an Kontur gewann, in der Grund-richtung aber über Jahre in identischer Weise repetiert wurde. Sie be-ruhte auf einer Problemdefinition, die den Kern der Verfassungsthema-tik als Frage der Treue zur Monarchie und des Vertrauens in den Lan-desfürsten identifizierte, auf der Schuldzuweisung an die Politiker («ge-wisse Kreise», «Oligarchie»), die den Verfassungsstreit vom Zaun gebro-189Medienöffentlichkeit
chen und dadurch schweren Schaden (bis hin zum Verlust der staatlichenEigenständigkeit) riskiert hätten (Kausaldimension), der moralischenVerurteilung der niederen Motive seiner Gegner als Vertrauensbruch, Il-loyalität und Undankbarkeit und schliesslich der Lösung des Problemsdurch den Souverän («Volk und Fürst») per Volksabstimmung (Hand-lungsempfehlung). Dem stand ein weniger scharf konturiertes Gegen-bild einer Opposition gegenüber, die sich aus einer Mehrzahl von politi-schen Strömungen zusammensetzte, in der Problemdeutung schon ausdiesem Grund unterschiedliche Akzente setzte, und der es vor allem aneiner überzeugend vermittelbaren Alternative zum blossen Nein-Sager-Image fehlte. Die (insoweit konfirmatorische) Faktorenanalyse hat zuzeigen, ob und inwieweit sich die skizzierten Deutungsrahmen auch inder Presseberichterstattung abbildeten. Wie die folgende Tabelle ver-deutlicht, war das in hohem Masse der Fall. Die Analyse extrahiert dreiFaktoren mit einem anfänglichen Eigenwert von mindestens 1,5, die zu-sammen rund 30 Prozent der Varianz in den eingespeisten Items erklä-ren (Tab. 14).Der erste Faktor lädt lediglich auf drei der vier Framing-Dimen-sionen und auf zwei der drei relativ schwach. Er steht insoweit für eineBerichterstattung, die fast ausschliesslich auf die Problemidentifikationfokussiert und deren Kern in den konkreten Verfassungsvorschlägensieht. Die Thematisierung aller bis zum Schluss kontrovers diskutiertenBestimmungen sind mit diesem Faktor mittelstark bis stark korreliert,besonders die Notrechtsregelung, Richterbestellung, Regierungsentlas-sung und die verfassungsrechtlich neuartige Idee eines Volksrechts aufMonarchieabschaffung beziehungsweise deren «kleiner Bruder», derMisstrauensantrag gegen den amtierenden Landesfürsten. Im Hinblickauf die Wurzel des Übels wird ebenfalls verfassungsrechtlich argumen-tiert, mit Verweis auf die Interpretationsoffenheit und Unvollkom men-heit der gültigen Landesverfassung von 1921. Die Evaluation der Vor-schläge führt zur Ablehnung der Verfassungsinitiative, wobei das entsprechende Item auf diesem Faktor nicht sonderlich hoch lädt. Insge-samt spiegelt die Faktorstruktur ein gleichsam expertokratisches Fra-ming der Verfassungsfrage wider, das sich auf die Benennung derSchwachstellen des Vorschlags und die Überzeugungskraft des besserenverfassungsrechtlichen Arguments verlässt, dafür aber auf die personaleZurechnung von Schuld sowie ein einschüchterndes Folgenszenario ver-zichtet und vor allem keine schlüssige Problemlösung anzubieten hat.190Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess
191MedienöffentlichkeitTabelle 14: Dreifaktorielle Lösung der Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation für 25 Framing ItemsDimensionen Items Factor 1 Factor 2 Factor 3Problem-identifikation Notrecht .73 .05 .01Volksinitiative Monarchieabschaffung .68 .05 .03Richterbestellung .67 .01 .00Entlassung Regierung / Auflösung Landtag .64 .06 –.01Misstrauensantrag .63 .02 –.00Gemeindesezession .50 .04 –.06Absolutes Veto .49 –.02 .03Kompetenzbeschneidung Staatsgerichtshof .49 –.02 –.02Hausgesetz mit Verfassungsrang .47 .07 –.03Form der Auseinandersetzung, politisches Klima –.09 .47 .17Handeln der Akteure –.14 .45 .03Wohnsitz Fürstenfamilie .04 .37 .31Mangel an Vertrauen, Patriotismus, Loyalität –.04 .01 .30Kausal-attribution UrsacheFürst (Machstreben) .14 .63 –.20Politiker (Uneinsichtigkeit, Unfähigkeit, Interessen) .02 .05 .33Zustand von Staat und Politik (Krise) –.01 –.00 .62Alte Verfassung (Unklarheit) .43 –.06 .32WirkungInnere Spaltung .07 .46 .08Imageschaden im Ausland .01 .09 .35Moralische Ablehnung der Fürsteninitiative istBewertung schlecht für das Land .07 –.00 .66Annahme der Fürsteninitiative ist schlecht für das Land .44 .52 –.17Handlungs-empfehlung Volksabstimmung über Fürsteninitiative –.06 .03 .68Verbleib bei alter Verfassung .18 .49 –.03Verhandlungslösung / Konsens .03 .42 .02Parlamentsentscheid über Regierungsvorlage .01 .33 .02Summe der quadrierten Faktorladung 3.7 2.0 1.9
Das deutet auf einen honorigen, sachlich unaufgeregten kommunika ti-ven Umgang mit dem Thema hin, der am Ideal der deliberativen Demo-kratie geschult sein mag, auf juristische Laien aber möglicherweise zu blass und jedenfalls wenig involvierend gewirkt haben könnte. ImFolgenden wird diese Deutung als «Rechtliche Bedenken»-Frame be-zeichnet.Der zweite Faktor beschreibt ein Framing, das man mit «Konfliktgütlich beilegen»-Frame umschreiben könnte. Diese Deutung identifi-ziert die eigentliche Problematik in der blossen Existenz eines Konfliktszwischen den staatlichen Institutionen, unter Ausserachtlassung derFrage und unabhängig davon, worum es dabei im Detail gehen mag. Kei-nes der Sachthemen lädt auf diesem Faktor, stattdessen werden die Formder Auseinandersetzung, die Handlungskalküle und -strategien der be-teiligten Akteure, darunter besonders die Wegzugsdrohung des Fürsten,als Problemkern thematisiert. Die Schuldzuweisung ist eindeutig etiket-tiert: In diesem Frame bildet der Fürst und niemand sonst den Aus-gangspunkt des Konflikts und er erscheint zugleich als Ursache für des-sen unversöhnliche Fortsetzung. Die innere Spaltung des Landes undseiner Bevölkerung erscheint in diesem Rahmen als die bedrohlichste al-ler Folgen des Verfassungskonfliktes. Konsequenterweise hat eineVolksabstimmung, die den politischen Konflikt gleichsam auf dem Rü-cken der Bevölkerung austrägt, in diesem Szenario keinen Platz. Her-vorgehoben werden demgegenüber vorgängige «politische» Problemlö-sungen wie der Verhandlungsweg, der parlamentarische Entscheid oderder Vorschlag, die Auseinandersetzung ergebnislos abzubrechen, wel-cher nicht zuletzt in dem ab 2001 lancierten Vorschlag eines Verfas-sungsmoratoriums zum Ausdruck kam. Eine Verfassungsreform nachdem Willen der Initianten wird abgelehnt, um Schaden vom Land abzu-wehren. Obwohl dieses Framing die kulturell tief verwurzelte Präferenzfür Einigkeit in den Vordergrund stellt, hat es eine entscheidende Schwä-che: der Weg zur Auflösung des Konflikts, auf den es die Aufmerksam-keit lenkt, kann nicht glaubhaft entwickelt werden. Verhandlungslösungund parlamentarische Entscheidung konnten spätestens ab dem Zeit-punkt nicht mehr offensiv vertreten werden, an denen ihnen der Lan-desfürst und in seiner Folge die Regierung eine definitive Absage erteilthatten. Den Verbleib bei der alten Verfassung als Lösung zu vertreten,fiel schon deswegen schwer, weil deren vermeintliche Schwächen durchdie intensive Beschäftigung mit dem Thema jahrelang öffentlich ausge-192Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess
breitet worden waren. Eine Position, die argumentativ dahinter zurück-fiel, war offenbar nur schwer zu vertreten. Die Ablehnung der Volksab-stimmung als ultima ratio, so überzeugend sie auch im Einzelnen be-gründet worden sein mag, liess sich nur allzu leicht als undemokratischdiskreditieren und als Beleg für das Misstrauen gegen «die Politik» an-führen, die dem Volk seine legitime Entscheidungskompetenz vorent-halten wolle. So könnte die Aufmerksamkeitslenkung dieses Framingsauf die Notwendigkeit der Konfliktbewältigung letztlich kontraproduk-tiv gewesen sein.Dieser letztgenannte Punkt bildet einen zentralen Eckpfeiler imFrame, auf den der dritte Faktor der statistischen Analyse verweist. Erlässt sich treffend als «Im Zweifel für den Fürsten»-Frame etikettierenund weist in mancherlei Hinsicht die klarste Struktur auf. Im Hinblickauf die ursächliche Deutung des Konflikts nimmt er die weit verbreitetenRessentiments gegen Parteien und Politiker auf, deren Versagen sowohlim Verfassungskonflikt selbst (uneinsichtige Politiker), mehr noch in dergenerellen Führung der Staatsgeschäfte (Zustand der «oligarchisierten»Liechtensteiner Parteiendemokratie) hervorgehoben wird. Der Verweisauf die Mängel der alten Verfassung gehört in den Interpretationsrahmen,ist aber kein auffälliger Bestandteil. Die Problemidenti fikation ist ebensoklar wie einfach. Danach geht es im Kern um zwei Fragen: Steht man zumFürstenhaus oder nicht und will man dementsprechend die fürstliche Fa-milie und das Staatsoberhaupt im Land haben oder nicht?187 Worum esbei diesem Konflikt sachpolitisch geht, lässt dieses Framing im Dunkeln,behandelt den verfassungspolitischen Gehalt gleichsam als Nebensache.Was die Konsequenzen der langjährigen innenpolitischen Auseinander-setzung angeht, wird in diesem Kontext vor allem auf den Ansehensver-lust im Ausland abgehoben, ein angesichts der vom Finanzplatz gepräg-ten Binnenwirtschaft, die in hohem Masse vom Image der Stabilität undSolidität des Kleinstaats lebt, ausgesprochen «wunder» Punkt. Daranknüpfen sich weitere Schadensszenarien im Falle des Scheiterns der Ver-193Medienöffentlichkeit187 Die Tatsache, dass das Item «Wohnsitzfrage» auf zwei Faktoren ungefähr gleichstark lädt, deutet darauf hin, dass damit zwei Themenaspekte gemessen wurden, diedurch die Erhebung nicht hinreichend scharf getrennt wurden: das Thema der Be-lastung der sachpolitischen Diskussion durch die Drohung (Factor 2) und die An-kündigung des Wegzugs als Hinweis darauf, was bei dem Konflikt auf dem Spielsteht (Factor 3).
fassungsinitiative, die eine eindeutige moralische Bewertung nahe legen.Der Ausweg aus der Krise erscheint in diesem Interpretationsmuster ein-deutig und alternativlos: der Entscheid des Volkes. Insgesamt erscheintdie Simplizität der skizzierten Problemdeutung, die den Rezipientennicht auf schwer nachvollziehbare verfassungsrechtliche Erwägungenverweist, sondern eine einfache Frage mit einer nahe liegenden Antwortverknüpft, dabei auf kulturell geprägte Vorbehalte, Ängste und Erfahrun-gen abhebt und die an sich alltagsferne Thematik insoweit emotional auf-zuladen vermag, als ihre eigentliche Stärke.194Öffentliche Kommunikation im AbstimmungsprozessTabelle 15: Hierarchische Cluster-Analyse für 25 Framing ItemsDimensionen Items ClusterThema Notrecht 1Volksinitiative Monarchieabschaffung 1Richterbestellung 1Entlassung Regierung / Auflösung Landtag 1Misstrauensantrag 1Gemeindesezession 1Absolutes Veto 1Kompetenzbeschneidung Staatsgerichtshof 1Hausgesetz mit Verfassungsrang 1Form der Auseinandersetzung, politisches Klima 2Handeln der Akteure 2Wohnsitz Fürstenfamilie 2Mangel an Vertrauen, Patriotismus, Loyalität 3Ursache Fürst (Machstreben) 2Politiker (Uneinsichtigkeit, Unfähigkeit, Interessen) 3Zustand von Staat und Politik (Krise) 3Alte Verfassung (Unklarheit) 1Wirkung Innere Spaltung 2Imageschaden im Ausland 3Bewertung Ablehnung der Fürsteninitiative ist schlecht für das Land 3Annahme der Fürsteninitiative ist schlecht für das Land 2Empfehlung Volksabstimmung über Fürsteninitiative 3Verbleib bei alter Verfassung 2Verhandlungslösung / Konsens 2Parlamentsentscheid über Regierungsvorlage 2
Obwohl die Faktoranalyse eine gut interpretierbare Antwort aufdie Frage des Medienframings erbringt, die zudem durch das Vorwissenüber die Argumentationsweisen beider Lager extern validiert werdenkann, wird der Befund durch ein statistisches Klassifikationsverfahrenzusätzlich abgesichert. Eine hierarchische Clusteranalyse nach derWard-Methode mit z-standardisierten Variablen gruppiert die FramingItems wie in Tabelle 15 gezeigt.Die Tabelle präsentiert im Prinzip die gleiche Gruppierung der Va-riablen, die auch durch die Faktorenanalyse nahe gelegt wird, mit zweiAusnahmen: erstens zeigt dieses Bild noch deutlicher, dass es dem «Sach-liche Bedenken»-Frame, der hier als Cluster 1 aufgeführt wird, vor alleman einer klaren moralischen Aufladung fehlte: die ablehnende Bewertungwird Cluster 2 («Konflikt gütlich beilegen») zugeordnet. Die zweitekleine Veränderung macht noch deutlicher darauf aufmerksam, dass der«Im Zweifel für den Fürsten»-Frame (Cluster 3) in punkto Problem i-dentifikation noch spartanischer daher kam, als es in der Faktorenana-lyse aussieht: Im Grunde, so zeigt die Clusteranalyse, ging es aus-schliesslich um die Frage von Loyalität und Vertrauen. Sie ordnet dieWohnsitzfrage der Problemdiagnose des «Konflikt beilegen»-Frame zuund macht insoweit deutlich, dass die Interpretation der Ankündigungals (unfaires) Mittel der Auseinandersetzung in der Berichterstattung do-minierte.Die Analyse des Ablaufs macht auf eine interessante Entwicklungder öffentlich sichtbaren Problemdeutung in der dreijährigen Beobach-tungsperiode aufmerksam.Die Übersicht in Tabelle 16 zeigt, dass der «Rechtliche Bedenken»-Frame (Factor 1) zu diesem frühen Zeitpunkt noch ein reiner «Verfas-sungsrecht»-Frame war. Er leistete eine präzise Problemidentifikation,indem er die Aufmerksamkeit auf alle umstrittenen Verfassungsbestim-mungen lenkte und deutete darüber hinaus an, dass die bestehende Ver-fassung tatsächlich reformbedürftig war. Die Schuld- und Folgenfragewurde in diesem Rahmen nicht sichtbar, ausserdem wurde es offenbarnoch nicht für nötig befunden, zu einer möglichen Realisierung der vorliegenden Vorstellungen moralisch-politisch Stellung zu beziehen.Das gleiche gilt im Übrigen für den fürstenhausfreundlichen Frame(Factor 3). Er empfahl zwar schon im Jahr 2000 / 01 die Volksabstim-mung über die fürstlichen Vorschläge als Lösungsweg, vermied es aber,ein allfälliges Ergebnis zu bewerten. Das tat allein der dritte in den Me-195Medienöffentlichkeit
196Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess188 Abs. Werte unter .30 unterdrücktTabelle 16: Dreifaktorielle Lösung der Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation für 25 Framing Items – nur Verhandlungsphase (01 / 2000–08 / 2001)188Dimensionen Items Factor 1 Factor 2 Factor 3Problem-identifikation Notrecht .75Volksinitiative Monarchieabschaffung .76Richterbestellung .75Entlassung Regierung / Auflösung Landtag .77Misstrauensantrag .73Gemeindesezession .61Absolutes Veto .65Kompetenzbeschneidung Staatsgerichtshof .57Form der Auseinandersetzung, politisches KlimaHandeln der Akteure .50Wohnsitz Fürstenfamilie .53Mangel an Vertrauen, Patriotismus, LoyalitätKausal-attribution UrsacheFürst (Machstreben) .71Politiker (Uneinsichtigkeit, Unfähigkeit, Interessen) .63Zustand von Staat und Politik (Krise) .32Alte Verfassung (Unklarheit) .40 .40WirkungInnere Spaltung .38Imageschaden im Ausland .37Moralische Ablehnung der Fürsteninitiative ist Bewertung schlecht für das LandAnnahme der Fürsteninitiative istschlecht für das Land .65Handlungs-empfehlung Volksabstimmung über Fürsteninitiative .60Verbleib bei alter Verfassung .54Verhandlungslösung / Konsens .31Parlamentsentscheid über RegierungsvorlageSumme der quadrierten Faktorladung 4.4 2.0 1.8
dien sichtbar werdende Deutungsentwurf (Factor 2), der schon vor einermöglichen Annahme der fürstlichen Verfassungsvorschläge warnte undseinerseits für den Verhandlungsweg beziehungsweise den Verbleib beider gültigen Verfassung (was seinerzeit hiess: Ende der Debatte und dereinschlägigen Reformbemühungen) plädierte. Hinsichtlich der Problem -identifikation ging es in diesem Rahmen ausschliesslich um die Wohn-sitzfrage, verfassungspolitische und verfassungsrechtliche Inhalte blie-ben demgegenüber unbeleuchtet.Die parlamentarische Phase (ohne Tabelle) war vor allem von einerbeträchtlichen Ausdifferenzierung des verfassungsrechtlichen Framinggekennzeichnet. Factor 1 fokussiert bei ansonsten gleicher Themen s-truktur hier noch stärker auf die neu einzuführenden Volksrechte (Miss-trauensantrag, Monarchieabschaffung) und lädt in dieser fortgeschritte-nen Phase auch auf der Wirkungsdimension, mit Verweis auf eine drohende innere Spaltung der Gesellschaft. Er weist in dieser Periode(vor Lancierung der Konkurrenzinitiative) auch in der pragmatischenDimension eine Ladung auf, in Form der Empfehlung, die alte Verfas-sung zu bewahren; zugleich wird erstmals von der Annahme der fürst li-chen Verfassungsvorschläge abgeraten. Der Umstand verweist auf eineproblematische Inkonsistenz der Frame-Entwicklung, war doch die alteVerfassung in der ersten Phase noch als die Wurzel des Übels markiertworden. Gemessen an dem durch alle drei Faktoren erklärten Varianz -anteil von rund 33 Prozent, stellte der «Rechtliche Bedenken»-Frame indieser zweiten Phase den mit Abstand stärksten Faktor dar, das heisst, erprägte die Presseberichterstattung dieser Periode stärker als die beidenanderen Deutungsmuster. Der Fürstenframe lädt in dieser Phase (nebendem bestehenden Lösungsangebot Volksabstimmung) auch auf der Di-mension Verhandlungslösung. Inhaltlich wird die Vertrauensthematikerstmals, wenn auch noch schwach sichtbar. Der dritte Frame ist in die-ser Phase nach wie vor unterkonturiert: Die Wirkungsdimension bleibtunbesetzt, im Bereich der Problemidentifikation bleibt es bei dem vagenVerweis auf die Schädlichkeit des Konflikts; als mögliche Lösungen er-scheinen weiterhin die alte Verfassung und weitere Verhandlungen. Imeigentlichen Abstimmungskampf (ohne Tabelle) entspricht der Frame«Rechtliche Bedenken» dem in Tabelle 16 sichtbaren Bild. Das gilt auchfür das Muster «Im Zweifel für den Fürsten», wobei in diesem Rahmen(ausweislich höherer Faktorladungen der einschlägigen Items) beinahealle Komponenten stärker konturiert sind. Das gilt vorab für die thema-197Medienöffentlichkeit
tische Fokussierung auf die Loyalitäts- beziehungsweise Vertrauens-frage, die verstärkte Betonung des Folgenszenarios «innere Krise» undden Hinweis darauf, dass die Volksabstimmung (Handlungsempfehlung)das Problem lösen wird. Factor 2 reduziert in der pragmatischen Di-mension sein Deutungsangebot auf den Verbleib bei der alten Verfassung(«Doppeltes Nein») und fokussiert in der Problemidentifikation voll-ständig auf Tatsache und Form der Auseinandersetzung. Hinsichtlichder Gesamtvarianz gewinnt der Fürstenframe an Erklärungskraft, derFrame «Rechtliche Bedenken» verliert gegenüber der parlamentarischenPhase sehr deutlich an Erklärungsleistung, bleibt aber knapp der stärksteFrame der Berichterstattung. Insgesamt erklären die drei Faktoren imAbstimmungskampf rund 27 Prozent der Varianz in den ausgewähltenBerichterstattungsmerkmalen.Weitergehende Differenzierungen erbringen kein statistisch signifi-kantes Resultat. Insbesondere lassen sich keine erkennbaren Differenzenin der Visibilität der Frames in beiden Landeszeitungen nachweisen, wasals Hinweis darauf interpretiert werden kann, dass wir es bei den gefun-denen Deutungsmustern nicht eigentlich mit dem Ergebnis von mediaframing zu tun haben, sondern mit Effekten des frame building durchdie kommunikativen Bemühungen extramedialer Akteure, das sich inden Medien abbildet.Medien-Diskurs: Zur deliberativen Qualität der PressekommunikationIn einer Reihe vorliegender Forschungsarbeiten ist versucht worden, derdiskursiven Qualität von Medienkommunikation auf die Spur zu kom-men (Gerhards 1997; Marcinkowski u. a. 2001; Schneider 2003; Ferree u. a. 2002). Dabei haben sich verschiedene Merkmale herauskristallisiert,die zumindest eine näherungsweise Operationalisierung dieses schwieri-gen Konstrukts erlauben. Weitgehend unbestritten ist dabei die An-nahme, dass sich die Offenheit und Inklusivität des medialen Diskursesanhand der Frage, wer von den Medien mit Rederecht bedacht wird, rechtvalide vermessen lässt. Dieser Annahme folgend, zeigt die erste Auswer-tung, welche Akteure beziehungsweise Akteursgruppen als namentlichbenannte Sprecher in den Tageszeitungen zu Wort kommen, indem siewörtlich zitiert oder in indirekter Rede wiedergegeben werden. Die Ta-belle sortiert die gesellschaftlichen Akteure einem von Bernhard Peters198Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess
(1993, 327–344 ff.) entwickelten Schema folgend gemäss ihrer Zugehörig-keit zu Zentrum und Peripherie des politischen Systems und weist darü-ber hinaus den eigenständigen Beitrag des politischen Journalismus zuröffentlichen Meinungsbildung aus. In dieser letztgenannten Kategoriewerden alle problembezogenen Aussagen von Journalisten zusammen ge-fasst, die nicht auf einen aussermedialen Akteur als Quelle verweisen.Ein Vergleich der Landeszeitungen in Tabelle 17 zeigt auch bei die-sem Merkmal, wie bescheiden die Autonomiespielräume der liechten-steinischen Presse sind. Erneut ist eine beinahe vollständige Struktur-gleichheit der Berichterstattung in beiden Blättern zu konstatieren. DerBefund macht deutlich, dass sich die Redaktionen darauf beschränken,die Verlautbarungen der politischen Akteure zu rapportieren. Wer sichmedienöffentlich nicht zur Sache äussern mag, wie etwa die Vertreter derLiechtensteiner Wirtschaft, der Gewerkschaften und der katholischenKirche, bleibt unbehelligt, wer etwas verlautbaren möchte, kann fest miteinem Mindestmass an Medienresonanz rechnen. Die Gewichtungsun-terschiede sind gering. Das Volksblatt berücksichtigte als Zeitung derMehrheitspartei erwartungsgemäss die Regierung etwas stärker als dieOppositionszeitung, im Vaterland kamen demgegenüber die organisier-ten Akteure der Zivilgesellschaft leicht häufiger zu Wort. Darüber hinaus offenbaren die ersten beiden Spalten keine bemerkenswerten Dif-ferenzen, wobei ergänzend angemerkt werden muss, dass innerhalb derSammelkategorie «Parteien» die Nähe der Blätter zur jeweiligen Mutter-partei zum Ausdruck kommt: Sprecher der Bürgerpartei waren imVolksblatt deutlich, Repräsentanten der VU im Vaterland leicht häufigervertreten. Folgerichtig ist der sachbezogene Eigenbeitrag des Liechten-steiner Journalismus zur Verfassungsdebatte gering: Weniger als siebenProzent aller inhaltlichen Stellungnahmen zu einem der oben genanntenThemenaspekte sind nicht auf eine externe Quelle zurechenbar und kön-nen insoweit den journalistischen Autoren zugeschrieben werden. Siebilden die publizistische Eigenleistung im engeren Sinne, wodurch dieThese vom Primat der Verlautbarungsfunktion im Liechtensteiner Jour-nalismus einmal mehr belegt wird.Der zweite Teil der Tabelle illustriert die Selektionslogik der Pres-seöffentlichkeit. Im redaktionellen Teil der Zeitungen dominieren dieetablierten Akteure des politischen Zentrums mit einem Anteil vonknapp 70 Prozent aller problemrelevanten Aussagen. Die Berichterstat-tung stützte sich dabei schwergewichtig auf Stellungnahmen der Land-199Medienöffentlichkeit
tagsabgeordneten, auf die fast ein Drittel aller Fälle entfielen. Etwa gleichhohe Berücksichtigungschancen hatten Regierung, Fürstenhaus und Par-teien. Knapp ein Fünftel aller öffentlichen Äusserungen im redaktionel-len Teil einer der beiden Zeitungen stammte von einem Akteur der Zi-vilgesellschaft.Dabei fokussierten die Redaktionen auf organisierte Gruppen (Ini-tiativen, Komitees etc.), während die Meinungen einzelner Bürger nurgeringe Berücksichtigungschancen besassen. Deren Einfallstor zur Me-dienöffentlichkeit bildeten wie zu erwarten die Leserbriefe und einge-200Öffentliche Kommunikation im AbstimmungsprozessTabelle 17: Struktur der zitierten Sprecher in der Presseberichterstattung 2000-2003(in Prozent)Quelle Beitragsart PhaseVolks- Vater- redak- zuge- Verhand- parlamen- plebis-blatt land tionelle lieferte lungs- tarische zitäre-Beiträge Beiträge phase- Phase PhaseZentrum des politischenSystems, davon . . . 52.8 51.6 69.1 36.3 62.9 56.4 48.3Regierung 8.9 6.2 10.7 4.4 6.8 7.9 7.4Landtag 18.2 19.2 30.4 7.9 22.3 28.7 14.1Justiz 0.6 0.4 0.8 0.2 0.2 0.7Parteien 9.1 8.9 10.2 7.9 9.8 8.9 8.8Fürstenhaus (Fürst / Erbprinz) 8.9 9.8 9.9 8.8 21.5 4.6 8.8Sonstige politische Sprecher 7.2 7.2 7.2 7.2 2.3 6.3 8.5Peripherie des politischen Systems, davon . . . 40.6 41.7 19.4 61.6 33.2 34.4 45.5Vereine, Initiativen, Komitees 10.1 14.7 10.6 14.5 5.3 8.4 15.7Einzelbürger 27.5 23.0 3.5 45.2 23.4 22.3 26.5Experten 2.5 3.7 4.8 1.5 4.5 3.6 2.6Unternehmen, Wirtschaftsverbände 0.2 0.1 0.3 0.3Kirche 0.2 0.1 0.2 0.2Sonstige periphere Akteure 0.1 0.1 0.2 0.1 0.1 0.2Journalismus 6.6 6.7 11.5 2.1 3.9 9.1 6.2Total 100 100 100 100 100 100 100N 1784 2109 1881 2012 488 964 2441
sandten Mitteilungen. Rund 45 Prozent aller Äusserungen im Bereichdieser Zulieferbeiträge entfielen auf Einzelbürger, die sich auf diesemWeg Luft und Stimme im medienöffentlichen Verfassungsdiskurs ver-schafften. Weitere 15 Prozent der Stellungnahmen in diesem Berichter-stattungssegment stammten von Vertretern der Vereine und Initiativen.Insgesamt beherrschten die Akteure der Peripherie des politischen Sys-tems den Markt der Einsendungen mit einem Anteil von über 60 Prozentaller dort geäusserten Meinungen. Dabei darf nicht übersehen werden,dass auch die etablierten Akteure des politischen Aktivsystems die Emp-fänglichkeit der Zeitungsredaktionen gegenüber eingesandten Mitteilun-gen für ihre Publizitätsinteressen zu nutzen wussten. Das gilt zuvorderstfür das Fürstenhaus, dessen Repräsentanten die (inoffizielle) Veröffent-lichungsgarantie eigener Verlautbarungen vergleichsweise rege in An-spruch nahmen, aber auch für (einzelne) Vertreter von Parteien undFraktionen, die sich auf diesem Kanal regelmässig zu Wort meldeten.Der Befund verdeutlicht, dass offene Leserbriefspalten nicht nur als Zu-geständnis an die ansonsten passiven Teile des Medienpublikums ver-standen werden dürfen, sondern dass sie darüber hinaus die Publizitäts -chancen statushoher Akteure des politischen Zentrums erhöhen, die aufdiesem Weg ihren Zugang zur Öffentlichkeit zu diversifizieren verstehen(vgl. auch Richardson / Franklin 2004).Der dritte Teil der Tabelle dokumentiert die Verteilung der me-dienöffentlichen Sprecher in der Verhandlungs-, Parlaments- und Refe-rendumsphase des politischen Prozesses. Die Auswertung belegt einenstatistisch überzufälligen Unterschied in der infrastrukturellen Ausstat-tung der öffentlichen Debatte in den drei Phasen des Entscheidungspro-zesses. Auf den ersten Blick wird ersichtlich, dass die Dominanz des po-litischen Zentrums im medienöffentlichen Diskurs schrittweise aufgelöstwird, während die Meinungen und Positionen der Zivilgesellschaft ingleichem Masse an Präsenz und Visibilität gewinnen. In der Verhand-lungsphase beherrschen die beiden Hauptakteure – Fürstenhaus undLandtag (Verfassungskommission) – den medienöffentlichen Diskurs,orchestriert vom politischen Publikum als Leserbriefschreiber. Währenddes kurzen parlamentarischen Prozesses gewinnen die Stellungnahmender Abgeordneten noch weiter an Bedeutung, während die Medien prä-senz des Landesfürsten nachlässt. In der Referendumsphase ist das Fürs-tenhaus als Initiant naturgemäss wieder präsenter, während die Land-tagsabgeordneten in dieser Phase nicht nur politisch aus dem Spiel ge-201Medienöffentlichkeit
nommen sind, sondern auch im Mediendiskurs an relativem Gewichtverloren haben. Die Repräsentanten von Parteien und Regierung wartenin allen drei Phasen mit etwa gleich bleibenden Anteilen auf.Die Volksabstimmung bewirkte offensichtlich eine Aktivierung derKommunikationsbereitschaft im politischen Publikum. Einzelbürgermeldeten sich in der Referendumsphase vermehrt zu Wort, noch ausge-prägter ist der Anstieg an Kommunikationsaktivitäten bei den organi-sierten Akteuren der Zivilgesellschaft. Nochmals deutlicher wird dieseEntwicklung, wenn man den Prozess kleinteiliger nach Jahresabschnit-ten gliedert. Hier zeigt sich, dass der normative Anspruch eines diskur-siven Öffentlichkeitsmodells, wonach die Chancen aller Akteure, im öf-fentlichen Kommunikationsraum zu sprechen und Gehör zu finden,prinzipiell gleich verteilt sein sollten und wenn überhaupt, dann nur eine(moderate) Überrepräsentanz zivilgesellschaftlicher Akteure tolerierbarsei (vgl. zu allen im Folgenden verwendeten Prüfkriterien Habermas1992a, 370 f.; Peters 1994, 46 f. und Gerhards 1997, 10–12 unter Bezugauf Ackermann 1989), in den letzten beiden Monaten vor der Liechten-steiner Verfassungsabstimmung von 2003 fast schon idealtypisch ver-wirklicht war. Im Zeitverlauf entwickelte sich die politische Öffentlich-keit Liechtensteins, zumindest was das Ensemble der Sprecher angeht,von einer «vermachteten» Öffentlichkeit im verfahrenen politischenProzess der Jahre 2000 und 2001, in denen die etablierten Akteure despolitischen Entscheidungssystems die öffentliche Debatte klar dominierthatten, konsequent in Richtung einer «autochtonen» Öffentlichkeit inder Schlussphase des Referendumsprozesses, in der die betroffenen Bür-ger und zivilgesellschaftlichen Akteure selbst das Wort ergriffen und sichartikulierten (Abb. 8).Das kann als deutlicher Beleg für das kommunikative Potenzial di-rektdemokratischer Verfahren gelten, wobei einschränkend anzumerkenist, dass die Liechtensteiner Printmedien diesen Prozess von sich auskaum forcierten: Über die gesamte Referendumsphase hinweg und bis indie letzten Wochen vor dem Abstimmungstermin räumten sie den etab-lierten Akteuren des politischen Zentrums in ihren redaktionellen Teilendeutlich höheren Publizitätschancen ein als der Zivilgesellschaft. Mehrals zwei Drittel aller Stellungnahmen entfielen auf Regierung, Volksver-treter und Fürstenhaus, knapp ein Fünftel auf Einzelbürger und organi-sierte Gruppen. Die «Eroberung» der Medienöffentlichkeit durch dieZivilgesellschaft in der Schlussphase des Abstimmungskampfes ist also202Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess
primär ein Effekt bürgerschaftlichen Engagements und damit einherge-hender Mitteilungsbereitschaft.Über die Forderung nach Offenheit für alle Sprechergruppen hinausgeht das diskursive Modell von Öffentlichkeit davon aus, dass der öf-fentliche Diskurs insbesondere dann zur Verständigung zwischen wider-streitenden Interessen beitragen kann, wenn Aussagen und Positionenargumentativ und mit Begründungen vertreten werden, denen man sichentweder anschliessen kann oder mit besseren Argumenten widerspre-chen sollte. Folglich wird im nächsten Auswertungsschritt geprüft, inwelchem Umfang die in der Öffentlichkeit vorgetragenen Aussagen zumVerfassungskonflikt auf begründenden Argumenten beruhten.Wie Tabelle 18 zeigt, war dies in der Verfassungsauseinanderset-zung mehrheitlich nicht der Fall. Über 70 Prozent aller medienöffent li-chen Stellungnahmen zur Verfassungsdiskussion wurden ohne Begrün-dung abgegeben. Wenn hier von Argumenten die Rede ist, sind aus-schliesslich verfassungsrechtliche oder verfassungs- und demokratiepo-litische, eben sachpolitische Argumente gemeint, was nicht ausschliesst,dass in weiteren Fällen «irgendwelche» Begründungen für die jeweiligenAussagen angeführt wurden. Von einer echten Diskussion oder Debatteim Sinne des Austauschs sachbezogener Argumente kann man demnachmit Blick auf die Medienöffentlichkeit kaum sprechen, eher von einer203MedienöffentlichkeitAbbildung 8: Entwicklung der Repräsentanz medienöffentlicher Sprecher von Zentrum und Peripherie im Liechtensteiner Verfassungskonflikt, 2000–2003(in Prozent)0 10 20 30 40 50 60 70 80 Zentrum politisches System Peripherie politisches System Journalismus 66.8 59.7 52.2 42.6 29.1 31.9 40 52.6 4.1 8.4 7.7 4.7 2003 (N=1095)2002 (N=1794)2001 (N=608)2000 (N=392)
204Öffentliche Kommunikation im AbstimmungsprozessTabelle 18: Argumentative Begründung problembezogener Stellungnahmenin den Landeszeitungen (N = 3893)Anteil Stellungnahmen Mittelwert sachbezogeneohne sachbezogene Argumente über alleArgumente (in %) Stellungnahmen (ø)Volksblatt (redakt. Teile) 74.1 .39**Vaterland (redakt. Teile) 70.0 .46**Redaktionelle Beiträge 71.9 .43**Zugelieferte Beiträge 68.3 .58**Zentrumsakteure 70.7 .52**Peripherieakteure 66.6 .54**Journalisten 86.0 .19**Verhandlungsphase 66.9 .68**Parlamentarische Phase 74.4 .40**Plebiszitäre Phase 69.0 .52**Sig. Differenz der Mittelwerte im T-Test: * p< .05 ** p< .01Tabelle 19: Argumentationsstruktur in den medienöffentlichen Stellungnahmennach Prozessphasen (in Prozent)PhaseVerhandlungs- parlamen- plebiszitäreArgumente zu . . . phase tarische Phase PhaseGemeindesezession 21.5 10.1 4.0Wohnort Fürstenhaus 17.2 22.4 20.8Richterbestellung 13.2 9.0 10.0Regierungsentlassung / Landtagsauflösung 13.4 14.8 11.1Notrecht 8.2 10.8 10.6Sanktionsverweigerung 6.4 7.6 12.6Sinn und Zweck der Konkurrenzinitiative «Verfassungsfrieden» – – 12.1Rolle des Staatsgerichtshofs 2.7 5.5 9.4Volksrecht auf Monarchieabschaffung 5.5 9.2 3.2Misstrauensantrag gegen Staatsoberhaupt 5.5 6.0 3.3Sonstige 6.4 4.6 2.9Total 100 100 100N 344 379 1257Legende: fett = Issues, die auch in der Initiative für Verfassungsfrieden thematisiert wurden.
Gegenüberstellung von Behauptungen. Der Befund korrespondiert in-soweit mit der oben bereits getroffenen Feststellung, dass die substan-tiellen Policy-Fragen der Verfassungsreform in weiten Teil der medien-öffentlichen Auseinandersetzung von anderen Themenaspekten – undanders gelagerten Argumenten – überschattet wurden. Die grösste Zahlaller in den Medien vorgebrachten Argumente bezog sich auf die Dro-hung des Fürsten, im Falle des Scheiterns seiner Verfassungsvorstellun-gen die Residenz der Familie nach Wien zu verlegen. Das mit Abstandam häufigsten vorgebrachte Einzelargument lautete, dass diese Ankün-digung einer unnötigen Belastung und zusätzlichen Emotionalisierungder Verfassungsauseinandersetzung gleich käme (20 Prozent aller Nen-nungen). Darüber hinaus wurde gerade in der Schlussphase verstärktüber die Zulässigkeit der Konkurrenzinitiative debattiert (Stichwort:Majestätsbeleidigung vs. demokratische Alternative). Auf diese beidenArgumentationsstränge, die mit der Substanz der zu entscheidendenVerfassungsfrage nichts zu tun hatten, entfiel immerhin ein Drittel allerArgumente, die in der heissen Phase des Abstimmungskampfes medien-öffentlich gemacht wurden.Unter den substantiellen Fragen der Verfassungsrevision waren indieser letzten Phase das absolute Veto des Fürsten gegen alle Landesge-setze («Sanktionsverweigerung»), das Notrecht und die Kompetenzendes Staatsgerichtshofs Gegenstand argumentativer Auseinandersetzun-gen, durchwegs Verfassungsaspekte, die von der konkurrierenden Initia-tive für Verfassungsfrieden thematisiert wurden und gerade dadurch denWeg zurück in die öffentliche Debatte fanden. Im Hinblick auf die Fürs-teninitiative wurde in der Schlussphase lediglich die Frage der Richter-bestellung argumentativ vertreten oder bekämpft, alle anderen Aspekteder schliesslich erfolgreichen Vorlage waren nicht mehr Gegenstand desmedienöffentlichen Argumentationsaustauschs (Tab. 19).Weitergehende vergleichende Analysen offenbaren zusätzliche De-tails (ohne Tabelle). Danach war das Argumentationsniveau im Vater-land knapp aber signifikant höher als im Volksblatt. Bemerkenswerter istdie Beobachtung, dass sich diejenigen Stellungnahmen, die sich in denzugelieferten Beiträgen fanden, überzufällig häufiger darum bemühten,ihre Meinungen mit sachbezogenen Argumenten zu untermauern, als zitierte Aussagen in redaktionellen Teilen. Inwieweit dieser Befunddurch den Diskussionsstil politischer Eliten oder die Präsentations-(Zitations-) weisen der Journalisten besser erklärt werden kann, muss an205Medienöffentlichkeit
dieser Stelle offen bleiben. Was die Rolle des Liechtensteiner Journalis-mus angeht, bestätigt ein weiterer Befund, dass er sich beinahe vollstän-dig auf eine «Strategie des Meinenlassens» (vgl. auch Saxer 1996, 535) be-schränkte. Die wenigen sachbezogenen Aussagen der Journalisten sindmit Abstand die argumentationsschwächsten unter allen Vergleichsgrup-pen. Die Differenz im Argumentationsniveau von Zentrums- und Peri-pherieakteuren fällt zwar zugunsten der zivilgesellschaftlichen Sprecherund Gruppen aus, ist allerdings im Mittelwertvergleich statistisch nichtsignifikant. Beide Gruppen führen mehrheitlich Aussagen ohne Begrün-dung (71 zu 67 Prozent) in den Mediendiskurs ein. Noch detaillierter be-trachtet zeigt sich immerhin, dass die jeweiligen Sprecher der beidenzentralen Akteursgruppen, nämlich die (männlichen) Mitglieder desFürstenhauses und die Initiativ- beziehungsweise Unterstützerkomiteesbeider Verfassungsinitiativen, erkennbar (und signifikant) deliberativerkommunizierten als alle anderen Diskursbeteiligten. Jede zweite me-dienöffentliche Stellungnahme von Repräsentanten dieser Gruppen warin den letzten fünf Monaten vor der Abstimmung argumentativ gestützt.Das ist ein vergleichsweise hoher Wert, der darauf schliessen lässt, dassQualifizierungseffekte zumindest auf einen Teil der Sprecher wirken.Gleichwohl entsprechen die Zahlen nur bedingt der Erwartung des an-spruchsvollen Öffentlichkeitsmodells, das nämlich unterstellt, zivilge-sellschaftliche Akteure würden sich in jedem Falle kommunikativ deut-lich diskursiver verhalten als solche des politischen Zentrums (zu denender Fürst von Liechtenstein als Bestandteil der Exekutive zweifellos zuzählen ist), weil sie auf keine weiteren politischen HandlungszwängeRücksicht zu nehmen hätten.Im Zeitvergleich zeigt sich, dass das Argumentationsniveau in derReferendumsphase gegenüber der parlamentarischen Beratung anstieg.Die Prozent- und Mittelwertdifferenzen sind allerdings wenig markant,sodass nur bedingt auf eine substantielle Qualifizierung der öffentlichenDebatte in der direktdemokratischen Arena geschlossen werden kann.Die höchste Argumentendichte fand sich im Übrigen in der Verhand-lungsphase. Die Tatsache, dass es in dieser frühen Periode noch eher um die Sache ging, nicht primär um Gewinnen oder Verlieren, und dasszumindest noch die Hoffnung bestand, mit dem besseren verfassungs-politischen Argument den Verhandlungspartner und das politische Pu-blikum zu überzeugen, spiegelt sich insoweit auch in der Qualität dermedienöffentlichen Debatte wider.206Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess
Als weiteres Indiz für die Rationalität eines Diskurses gilt, dass dieSprecher in der Öffentlichkeit tatsächlich aufeinander Bezug nehmen,anstatt lediglich übereinander und damit eigentlich aneinander vorbei zureden. Um auch dies zu überprüfen, wird in einer weiteren Auswertungnachgewiesen, in welchem Ausmass Problemäusserungen zum Verfas-sungskonflikt in der Medienöffentlichkeit tatsächlich an andere betei-ligte Diskursteilnehmer adressiert wurden. Danach waren rund 73 Pro-zent aller Sprecheräusserungen zum Verfassungskonflikt explizit und er-kennbar (mit Namensnennung beziehungsweise Funktionsbezeichnung) an einen Adressaten gerichtet, rund 27 Prozent blieben hinsichtlich ihres Adressaten allgemein oder diffus, waren also ungerichtet in denöffent lichen Raum gesprochen. Fast drei Viertel aller Stellungnahmenforderten mithin zur quasi-interaktiven Fortsetzung der öffentlichenKommunikation heraus, was durchaus den Anforderungen eines an-spruchsvollen Öffentlichkeitsmodells entspricht. Das gilt speziell für diedirektdemokratische Phase, die mit einem Anteil von 76 Prozent adres-sierter Stellungnahmen einen höheren Wert ausweist, als die Kommu ni-kation in der Verhandlungs- (61 Prozent) und der parlamentarischen Periode (72,6 Prozent). Was den Gesamtbestand adressierter Kommuni-kationen angeht, so richten sie sich in der grossen Mehrheit der Fälle aneine der beteiligten Konfliktparteien im politisch administrativen Zen-trum: in rund 50 Prozent der Fälle an das Fürstenhaus, in einem Viertelder Fälle an die Landesregierung. Das Initiativkomitee für «Verfassungs-frieden» wurde in knapp neun Prozent der presseöffentlichen Stellung-nahmen angesprochen, die übrigen Initiativen, Vereine und Gruppen inweiteren zehn Prozent.Tabelle 20 zeigt die Dialogstruktur in der letzten Phase vor derEntscheidung. Gegenüber der Vorphase weist die Adressierungsintensi-tät des Fürstenhauses über alle Sprecher hinweg eine leicht steigendeTendenz (plus 6 Prozentpunkte) auf, während die Regierung signifikantseltener angesprochen wurde (minus 25 Prozentpunkte). Für das Initia-tivkomitee «Verfassungsfrieden» liegt kein Vergleichswert vor, da es erstin der Referendumsphase gegründet wurde. Hieraus kann man schlies-sen, dass die Kommunikation im Referendumsprozess zielgenauer wird,sich gleichsam von der typischen Allzuständigkeitsvermutung zulastender Regierung wegbewegt und sich auf diejenigen fokussiert, die als tat-sächliche Nutzniesser der Vorlage erkannt werden. 207Medienöffentlichkeit
Im Vergleich der Sprechergruppen fällt auf, dass die Akteure des politi-schen Zentrums überwiegend einen Elitendiskurs führten. Exakt 96 Pro-zent aller adressierten presseöffentlichen Stellungnahmen dieser Grupperichteten sich an andere Akteure des politischen Zentrums, mehrheitlichan das Staatsoberhaupt und Erbprinz Alois. Weitere 17 Pro zent der Aus-sagen wurden an ausländische Akteure adressiert. Ein Drittel aller Äusse-rungen von Repräsentanten des politischen Systems waren (zumindestauch) an zivilgesellschaftliche Akteure und die Stimmbürger gerichtet.Das spricht nicht unbedingt für eine Abstimmungskommunikation, beider der Souverän im Mittelpunkt steht. Die Zivilgesellschaft selbst sprachim Abstimmungskampf vor allem die Initianten der Abstimmungsvor-lage im Fürstenhaus an, in einem Fünftel der Fälle auch die Regierung, diederen Vorschlag unterstützte. Darüber hinaus deuten die Zahlen auf einen vergleichsweise regen Austausch der Bürger untereinander hin: im-merhin zwölf Prozent der Stellungnahmen zivilgesellschaftlicher Ak-teure waren an Stimmbürger gerichtet.Freilich können Sprecher sich wechselseitig adressieren (Forderun-gen an den jeweils anderen stellen, Appelle an ihn richten usw.), ohne208Öffentliche Kommunikation im AbstimmungsprozessTabelle 20: Dialogstruktur medienöffentlicher Stellungnahmen in der Referendumsphase von August 2002 bis März 2003 (in Prozent)SprecherAdressaten Politisches Politische JournalismusZentrum PeripherieRegierung 19.1 21.7 21.2Landtag 14.9 7.0 22.1Parteien 17.9 15.7 16.8Fürstenhaus (Fürst / Erbprinz) 44.1 59.2 31.0Politische Akteure im Ausland (insb. Europarat) 17.4 8.2 12.4Initiativkomitee «Verfassungsfrieden» 15.7 11.7 9.7Sonstige Vereine, Initiativen, Interessengruppen 14.5 9.4 16.8Einzelbürger 4.0 12.4 2.7Journalisten 3.5 6.9 6.2N 845 899 113Da jede Aussage mehrfach adressiert sein kann, addieren sich die Prozentwerte nicht zu 100 Prozent.
faktisch in einen argumentativen Disput miteinander einzutreten. Tat-sächlich sind Adressierung und argumentative Stützung auf Aussagen-ebene nur schwach miteinander korreliert (r = .08**): ob sich eine Stel-lungnahme um argumentative Begründung bemüht, ist also weitgehendunabhängig davon, ob ein konkreter Akteur ausdrücklich angesprochenwird. Was im Hinblick auf die diskursive Qualität von Öffentlichkeit in-teressiert, ist aber gerade die Frage, ob die Sprecher de facto auf die Ar-gumente des jeweils Anderen eingehen. Um das detaillierter zu prüfen,wurden im Rahmen der Inhaltsanalyse 35 unterschiedliche Einzelargu-mente zu verschiedenen Aspekten des Verfassungsthemas danach unter-schieden, ob sie einzelne Vorschläge und Änderungswünsche des Fürs-tenhauses eher befürworteten oder eher ablehnten. Mit Hilfe dieser Daten kann berechnet werden, wie gross der Anteil öffentlicher Stel-lungnahmen ist, die sowohl befürwortende als auch ablehnende Argu-mente vortragen, indem sie beispielsweise ein Argument nennen, umdann dagegen zu argumentieren, oder aber zwei konkurrierende Argu-mente (nach dem Muster: «einerseits gilt dies, andererseits wäre das zubedenken») einander gegenüberstellen. Eine Grafik ist an dieser Stellenicht vonnöten: Der Anteil solcher, im engeren Sinne diskursiven Stel-lungnahmen beträgt in dem hier untersuchten Fundus der Medienöf-fentlichkeit zum Verfassungskonflikt in Liechtenstein exakt 0,5 Prozent,das sind in absoluten Zahlen 21 von rund 3900 untersuchten öffentlichenÄusserungen.Man mag einwenden, dass der Anspruch überzogen sei und denrealen Bedingungen öffentlichen politischen Kommunizierens nicht entspricht. Dann bietet es sich an, eine solche Forderung nicht an dieSprecher selbst, sondern an die Medien öffentlicher Kommunikation zurichten. Sie wären offenbar ohne weiteres in der Lage, derartige Quasi-Diskussionen im Rahmen ihrer Berichterstattung zu konstruieren, indem in einem Beitrag etwa zunächst Sprecher mit Pro-Äusserungen zi-tiert werden, dem dann die eigenen Contra-Argumente oder die einesanderen Sprechers gegenüberstellt werden könnten, um dem Leser da-durch vor Augen zu führen, worin der Kern der argumentativen Ausei-nandersetzung besteht. Eine solche Präsentationsform wäre auch undgerade für eine parteigebundene Presse rational, dürfte also vorderhandnicht einfach an den spezifischen Medienbedingungen Liechtensteinsscheitern. Tatsächlich betrug der Anteil an Zeitungsartikeln, die in dieserWeise Pro- und Contra-Argumente miteinander konfrontierten, im hier209Medienöffentlichkeit
untersuchten Fall gerade 6,2 Prozent (von insgesamt 2132 Artikeln), wasim Umkehrschluss bedeutet, dass mehr als 90 Prozent der Artikel –wenn überhaupt – ausschliesslich Argumente für die eine oder anderePosition lieferten, nicht aber für beide. In der Verhandlungsphase trafdas auf 89,7 Prozent von 319 Beiträgen zu, in der parlamentarischenPhase auf 94,2 Prozent der 448 Beiträge, in der direktdemokratischen auf94,6 Prozent von 1365 Beiträgen. Zieht man in Betracht, dass sich die re-daktionelle Verantwortung im engeren Sinne lediglich auf die selbst ver-antworteten Beiträge bezieht, also nicht auf Leserbriefe, eingesandteMitteilungen, Dokumentationen, dann ist es gerechtfertigt, die gleicheAuswertung für die um externe Zulieferungen verminderte Grundge-samtheit zu rechnen. Im diesem Fall ergibt sich ein Anteil von 13,7 Pro-zent (von 606 redaktionellen Beiträgen) «diskursiv» gebauter Beiträge,was die Gesamteinschätzung offenbar nicht grundlegend verändert.Bis hierher wurde ausschliesslich geprüft, ob Argumente für undwider die (Bestandteile der) Verfassungsrevision präsentiert wurden, unabhängig davon, wer sie vorgetragen hatte. Fasst man das Kriteriumweiter und prüft darüber hinaus, ob Statements von Angehörigen derunterschiedlichen politischen «Lager» im gleichen Artikel zu Wort ka-men, unabhängig davon, ob sie argumentierten (gar zum gleichenThema) oder lediglich behaupteten, fällt das Ergebnis nicht wesentlichanders aus: 10,5 Prozent aller Zeitungsbeiträge und immerhin knapp 27 Prozent der redaktionell verantworteten Veröffentlichungen liessenSprecher beider Lager zu Wort kommen. Auch diese letzte Zahl ändertdie Gesamteinschätzung kaum: die Zeitungen waren im Wesentlichendarauf konzentriert, «opportune Zeugen» (Hagen) und Argumente einerSeite zu portieren, anstatt den Diskurs der Akteure und Argumentesichtbar zu machen.Verständigung über den Geltungsanspruch von Forderungen giltder Habermas`schen Diskurstheorie zufolge als eigentlicher Zweck derÜbung und kann insoweit als weiteres Prüfkriterium für die Qualität desMediendiskurses gelten. Nun liegt es auf den ersten Blick fern, nach demVerständigungspotenzial öffentlicher Kommunikation im Vorfeld einerVolksabstimmung zu fragen. Wäre Konsens in der Kernfrage möglichgewesen, wäre das im politischen Aushandlungsprozess festgestellt wor-den und Initiative oder (fakultatives) Referendum überflüssig. Das giltauch für den hier untersuchten Fall, dessen Konfliktivität unbestrittenist. Gleichwohl kann man fragen, ob zumindest hinsichtlich einiger As-210Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess
pekte des öffentlichen Diskurses Verständigung möglich geworden ist.Als Indikator dafür soll die Beobachtung dienen, dass der entsprechendeThemenaspekt im Verlauf der öffentlichen Debatte nachhaltig und sub-stantiell an Zustimmung gewinnt, sodass – wenn auch nicht alle – dochzumindest eine qualifizierte Mehrheit der Debattenbeiträger am EndeZustimmung signalisieren. Das war ausweislich einschlägiger Analysen,auf deren Dokumentation hier verzichtet werden kann, nicht der Fall.Weder über die Wahrnehmung der Konfliktursachen noch über die Ein-schätzung der möglichen Folgen (bei Annahme oder Ablehnung der Ini-tiative) konnte zu irgendeinem Zeitpunkt Verständigung in dem Sinneerreicht werden, dass ein namhafter Anteil der Stellungnahmen beiderMeinungslager hierzu identische Positionen vorgetragen hätte. Das Glei-che galt für die Frage, wie der Verfassungskonflikt am sinnvollsten gelöstwerden könnte. Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, dassder Diskurs eine (wenn auch nur annähernde) Verständigung über die ei-gentlichen Reforminhalte ebenfalls nichts bewirken konnte. Abbildung9 dokumentiert die Entwicklung der medienöffentlichen Zustimmungzu den zentralen (meist behandelten) Regelungen der Verfassungsre-form. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass keiner der Vorschläge aus ei-ner Position mit mehrheitlicher Zustimmung starten konnte (Abb. 9).Ausserdem erfuhr keiner der Vorschläge zu irgendeinem Zeitpunkt inder Untersuchungsperiode bei einer Mehrheit der medienöffentlichenStellungnahmen zum Thema Zustimmung. Allein die Regelung des Not-verordnungsrechts «kratzte» im Jahr 2001 an der 50-Prozent-Marke:49,1 Prozent aller in der Presse wiedergegebenen Äusserungen zumThema bekundeten Unterstützung für den Vorschlag des Fürstenhauses.Da im gleichen Jahr mehr als ein Drittel der Pressestatements Ablehnungsignalisierten, kann von Verständigung gleichwohl nicht die Rede sein.Immerhin konnten alle hier ausgewerteten Verfassungsbestimmun-gen und Ankündigungen nach 2001 in der medienöffentlichen Debattean Zustimmung gewinnen. Zwei Themen erreichten den höchsten Zustimmungsgrad im Jahr 2001, drei weitere im Jahr 2002. Allerdingsgewann die presseöffentliche Kritik an allen fünf zentralen verfassungs-politischen Vorschlägen im Abstimmungskampf wieder erheblich an Boden. Parallel dazu ging der Anteil zustimmender Stellungnahmen zurück. Im Ergebnis lagen die Zustimmungsraten von drei der fünf Be-stimmungen am Ende des Untersuchungszeitraums niedriger als an sei-nem Anfang. Nur ein einziges Vorhaben des Landesherrn gewann über211Medienöffentlichkeit
den gesamten Zeitraum kontinuierlich an Unterstützung: die Ankündi-gung, im Falle des Misserfolgs der Verfassungsreform den Wohnsitz derFamilie in die österreichische Metropole Wien zu verlegen. War dieseVorhersage anfänglich noch als unzulässige «Erpressung» kritisiert undentsprechend schwach unterstützt worden, mehrten sich im Lauf derJahre die Stimmen, die Verständnis für diese Massnahme signalisiertenund das Staatsoberhaupt in seinem Vorhaben bestärkten, nicht zuletztum den Druck auf die Stimmbürger zu erhöhen. Im finalen Abstim-mungskampf gab es schliesslich auch Äusserungen von Reformgegnern,die den Auszug des Fürstenhauses für eine gute Idee hielten und öffent-lich unterstützten.Zwei weitere Befunde, die sich nicht mit quantitativen Daten ab-bilden lassen, sondern das Ergebnis teilnehmender Beobachtung wider-spiegeln, gehören in den hier erörterten Zusammenhang. Auf der einenSeite gab es deutliche Hinweise auf die Neigung zur Diskussions- undDiskursverweigerung bei einigen der Hauptbeteiligten. Beachtung ver-212Öffentliche Kommunikation im AbstimmungsprozessAbbildung 9: Entwicklung der medienöffentlichen Zustimmung zu den meistdebattierten Verfassungsbestimmungen, 2000–2003 (in Prozent)0 10 20 30 40 50 60 2003 20022001 2000 Richterbestellung Regierungsentlassung/Landtagsauflösung Sanktionsrecht Gemeindesezession Notrecht Umzug Fürst
dient der Umstand, dass sich entsprechende Stimmen unmittelbar nachAnmeldung der Verfassungsinitiative durch das Fürstenhaus mehrten.Dabei blieb es nicht nur bei medienöffentlichen Forderungen nach einem baldigen «end of talk», Regierungsvertreter und der Initiant selbstliessen entsprechende Taten folgen, etwa die Nicht-Teilnahme an öffent-lichen (vom Radio live ausgestrahlten) Diskussionsrunden und die Ab-sage an eine diskursive Fernsehdiskussion. Ein weiteres zentrales Kon-zept deliberativer Politik, dessen Verletzung im Liechtensteiner Verfas-sungsentscheid beispielhaft studiert werden kann, ist das Postulat desRespekts (empathy) gegenüber der Person des politischen Konkurren-ten, der Legitimität seines Anliegens und den Bedürfnissen der Betroffe-nen (vgl. Habermas 1991, 73; Gutmann / Thompson 1990, 85; Macedo1999, 10). Zu keinem Zeitpunkt der Debatte hatte namentlich der Lan-desfürst zu erkennen gegeben, dass er die Kritiker seiner Initiative als le-gitime politische Konkurrenten akzeptiert hätte. Verschiedentlich kames zu medienöffentlichen Diskreditierungen und Polemiken gegenüberden politisch Andersdenkenden, wobei auch hier galt, dass sich einschlä-gige Fälle in der heissen Phase des Abstimmungskampfes häuften (vgl.ausführlicher Marcinkowski 2004).Die Gesamtbilanz der in diesem Abschnitt präsentierten Befundemuss sich auf den Vergleich der Prozessphasen konzentrieren, geht esdoch vor allem um die These, dass sich diskursive Qualitäten medien öf-fentlicher Kommunikation – wenn überhaupt – unter dem Eindruck derinstitutionellen Anreize direktdemokratischer Verfahren einstellen. Fürdiese Annahme spricht die deutliche Intensivierung und Verdichtung derPresseberichterstattung bei gleichzeitigem Abbau asymmetrischer Be-rücksichtigungschancen von zivilgesellschaftlichen Gruppen und «einfa-chen» Stimmbürgern, ein Effekt, der allerdings nicht von den Medien,sondern von Teilen des aktiven Medienpublikums bewirkt wurde. Dafürspricht auch, dass die kommunikativen Beiträge in der plebiszitärenPhase markant häufiger an einen explizit genannten Adressaten gerichtetwaren. Dabei handelte es sich aber – wie die weiteren Analysen gezeigthaben – mehrheitlich nicht um Argumentenaustausch, sondern um For-derungen, Schuldzuweisungen, Handlungsappelle u. a. Gegen diskursiveQualifizierung spricht darüber hinaus die eklatante De-Thematisierungdes substantiellen Gehalts der Entscheidungsvorlage, die argumentativeVerarmung im Debattenverlauf, die Anzeichen für Diskussionsverwei-gerung und mangelnder Respekt in der Schlussphase. Insgesamt legt der213Medienöffentlichkeit
Liechtensteiner Fall die Einschätzung nahe, dass Volksabstimmungendurchaus zur Qualifizierung medienöffentlicher Kommunikation beizu-tragen vermögen. Allerdings stellt sich dieser Effekt nicht im unmittel-baren zeitlichen Umfeld der Entscheidung ein, sondern deutlich (hierrund zwei Jahre) vor dem eigentlichen Abstimmungstermin. Jedenfallserreichte die Medienöffentlichkeit gerade hinsichtlich thematischer Fo-kussierung des Entscheidungsgegenstands, des Argumentationsniveausund der diskursiven Struktur in der hier als Verhandlungsphase bezeich-neten Periode die jeweils besten Werte, ein Rationalitätsgewinn, der sichmit dem Näherrücken des Entscheidungszeitpunkts allerdings wiederverflüchtigte. Als generelle Hypothese ergibt sich daraus: Erwartungenan eine höhere Rationalität (im Sinne des Diskursmodells) öffentlicher(auch medienöffentlicher) Kommunikation in der direkten Demokratiesind keineswegs unrealistisch. Sie sind aber auch im direktdemokrati-schen Kontext nur in den Zeitfenstern zu erwarten, wo es noch um nichts geht, wo man es sich leisten kann zu de-liberieren. Sobald die verbindliche Entscheidung näher rückt, im eigent-lichen Abstimmungskampf also, wird die Kommunikation instrumen-tell, konzentriert sich auf Kommunikationsstrategien, mit denen manden Abstimmungserfolg zu erreichen können meint. Direkte Demokra-tie würde dann nicht zu durchgängig diskursiv-rationalen öffentlichenAuseinandersetzungen führen, aber doch immerhin regelmässig wieder-kehrend mehr oder weniger ausladende Zeitfenster (windows of oppor-tunity) öffnen, in denen die Anreize für qualifizierte Deliberation bereitsdurchschlagen, die Triebkräfte für instrumentelle, am Abstimmungssiegorientierte Kommunikation aber noch nicht die Oberhand gewonnenhaben.Medien-Tenor: Zur Tonalität der veröffentlichten MeinungUm zu prüfen, ob und in welchem Ausmass die Medienberichterstat-tung die Position eines der beiden Meinungslager im Verlauf der Kam-pagne systematisch und signifikant bevorzugte oder benachteiligte, wur-den verschiedene Indikatoren entwickelt. Die Fragestellung lehnt sich andie Perspektive der News Bias-Forschung an, die sich um die Aufde-ckung überzufälliger Verzerrungen in der politischen Berichterstattungbemüht. Dabei hat die Bevorzugung von Parteien und deren Kandidaten214Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess
(partisan bias) zumal in der Wahlberichterstattung das besondere Inte-resse der Forschung auf sich gezogen (vgl. D’Alessio / Allen 2000). AlsRichtwert für eine objektive Berichterstattung wird die weitgehend un-realistische Idealvorstellung gleichgewichtiger Berücksichtigung aller(beider) relevanten Meinungslager herangezogen, wobei übersehen wird,dass es strukturelle Gründe dafür geben mag, dass eine politische Parteioder Persönlichkeit mehr und günstigere Berichterstattung auf sich ziehtals eine andere (vgl. Schiffer 2006). Obwohl es sich im LiechtensteinerFall nicht um eine Wahl, sondern um eine Sachabstimmung handelte,lässt sich dieser Ansatz sinnvoll übertragen. Zumindest in der Schluss-phase hatten sich die beiden grossen Parteien mit ihren Parolen auf un-terschiedlichen Seiten positioniert, sodass der Sachkonflikt auch entlangder Parteigrenzen ausgetragen wurde. Da beide Landeszeitungen be-wusst und absichtsvoll dazu tendieren, die politische Position ihrer je-weiligen Mutterpartei schwergewichtig zu promovieren, ist bezüglichder gesamten Presseberichterstattung prima facie davon auszugehen,dass die Meinungen in relativem Gleichgewicht zum Ausdruck kamen.Abweichungen von der Gleichgewichtslinie können dann als überzufäl-lige Verzerrung interpretiert werden, wenn sie sich entweder auf struk-turelle Gründe zurückführen lassen oder aber das differentielle Ausmassder Parteilichkeit in beiden Redaktionen indizieren.Den ersten Zugang zur Thematik eröffnet ein Indikator, der gewis-sermassen eine Option auf Parteilichkeit misst: das Auftreten von Spre-chern, die aufgrund der laufenden Beobachtung eindeutig einem der bei-den Meinungslager zugerechnet werden konnten. Dabei wurden nur sol-che Sprecher verortet, die sich ebenso früh wie klar für beziehungsweisegegen die fürstlichen Vorschläge zur Verfassungsreform ausgesprochenhatten, und zwar in einer so eindeutigen Weise, dass es jedem aufmerk-samen Zeitungsleser bekannt war. Als nicht zuzuordnen wurden demge-genüber Zitate von nicht namentlich erfassten Sprechern behandelt (Re-präsentanten von Vereinen, Unternehmen, «Experten» und vor allemLeserbriefschreiber). In die gleiche Kategorie fallen Stellungnahmen vonindividuellen und kollektiven Akteuren, die sich nicht offiziell und öf-fentlich positioniert hatten (z. B. der Bankenverband). Wohlgemerkt, dieAuswertung erfasst nicht den tatsächlichen Inhalt der jeweiligen Äusse-rung, sondern die blosse Zuweisung von Sprecherrollen an Personen, dieinnerhalb der interessierten Öffentlichkeit als Repräsentanten des Pro-oder Contra-Lagers bekannt waren. Die blosse Visibilität, besser: Wahr-215Medienöffentlichkeit
nehmbarkeit solcher Personen kann schon als Hinweis auf und Symbolfür journalistische Parteinahme interpretiert werden. Die zugehörigeAbbildung 10 zeigt einen markanten Linienverlauf. Über den gesamtenUntersuchungszeitraum waren ausgewiesene Reformbefürworter in derMedienöffentlichkeit präsenter als die Reformkritiker. Dabei schlosssich die Schere im Zeitverlauf, ohne allerdings vollständig zu verschwin-den. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums waren die Befürworterstark übergewichtig in den Zeitungen vertreten. Beinahe die Hälfte allermedienöffentlichen Sprecher im Verfassungskonflikt des Jahres 2000 war216Öffentliche Kommunikation im AbstimmungsprozessAbbildung 10: Repräsentanz von Reformbefürwortern und Reformkritikern in der Presseberichterstattung, 2000–2003 (in Prozent)0 10 20 30 40 50 60 70 2003 (N = 1095) 2002 (N = 1798) 2001 (N = 608) 2000 (N = 392) Befürworter Nicht zuzuordnen Kritiker 39.3 32.2 24.3 23.0 45.4 43.8 52.2 57.6 15.3 24.0 23.5 19.4 Abbildung 11: Repräsentanz von Reformbefürwortern in den redaktionellen Eigenbeiträgen von Volksblatt und Vaterland, 2000–2003 (in Prozent)45.1 44.7 34.6 42.2 43.9 32.4 25.2 27.7 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 2000 2001 2002 2003 Volksblatt Vaterland
erkennbar dem Pro-Lager zuzurechnen. Der Anteil sank im Folgejahrauf ein knappes Drittel, in den Jahren 2002 und 2003 stellten exponierteBefürworter noch rund ein Viertel aller Sprecher. Ausgewiesene Kritikerfüllten in den letzten Monaten vor der Volksabstimmung knapp einFünftel der medialen Sprecherrollen aus, blieben also gegenüber denFürsprechern bis zum Schluss im Hintertreffen. Zugleich zeigt sich, dassdie Medienarena im Verlauf der Jahre von immer mehr und neuen Spre-chern bevölkert wird, die a priori noch nicht eindeutig positioniert sind.Sie drängen die prominenten Repräsentanten beider Meinungslager im-mer weiter zurück und besetzen im Frühjahr 2003 beinahe sechzig Pro-zent der Sprecherrollen.Ihr Einfallstor in die Medienöffentlichkeit waren naturgemäss Le-serbriefe und eingesandte Mitteilungen. Das wird deutlich sichtbar, wennman die Auswertung auf die redaktionellen Anteile der Berichterstattungbeschränkt (ohne Abb.). In diesem Segment sind durchgängig knappzwei Drittel aller Sprecherpositionen an Exponenten der beiden Mei-nungslager vergeben, «unverbrauchte» Sprecher machen im Abstim-mungsjahr 2003 gut 34 Prozent aus. Die Gewichtung von Für- und Wi-dersprechern in den journalistischen Beiträgen entspricht im Zeitverlaufdem in Abbildung 10 erkennbaren Bild. Allerdings ist der Bias zugunstender Befürworter gerade in den Jahren 2002 und 2003 so gering, dass manstatistisch von einem beinahe ausgewogenen Verhältnis sprechen kann.Unausgewogenheit spielt auch in Abbildung 11 eine Rolle. Sie zeigtdie Berücksichtigung von Exponenten des Pro-Lagers in der redaktio-nellen Berichterstattung beider Landeszeitungen im direkten Vergleich.Danach wurde die Bevorzugung der Pro-Exponenten im Jahr 2000 vonbeiden Zeitungen mitgetragen. Bereits im Wahljahr 2001 waren aller-dings die Berücksichtigungschancen für profilierte Repräsentanten desBefürworterlagers im Volksblatt um 12 Punkte höher als im Vaterland.Daran änderte sich auch im Jahr 2002, das in beiden Blättern durch einsignifikant vermehrtes Auftreten nicht positionierter Sprecher geprägtwar, wenig. In den Monaten unmittelbar vor der Abstimmung hattenBefürworter der Verfassungsreform im Volksblatt einen um 15 Punktehöheren Sprecheranteil als im Vaterland. Wie die Zahlen zeigen, hat dasVolksblatt den Kurswechsel der Mutterpartei, der durch die Regierungs-übernahme im Frühjahr 2001 eingeleitet worden war, erwartungsgemässmitvollzogen. Ebenso deutlich ist die Parallelität von Partei- und Re-daktionspolitik im Vaterland erkennbar. In dem Masse, wie sich die VU217Medienöffentlichkeit
in ihrer offiziellen Politik von der Verfassungsreform distanzierte, verlo-ren profilierte Sprecher des Pro-Lagers an Sichtbarkeit in der Berichter-stattung der Oppositionszeitung. Dabei erweist sich der parteipolitischeEffekt als stärker als konkurrierende Effekte: Immerhin hätte der Nach-richtenwert «Status» auch im Vaterland für eine erhöhte Repräsentanzprofilierter Fürsprecher der Verfassungsänderung gesprochen, handeltees sich dabei doch durchwegs um Regierungsvertreter und das Staats-oberhaupt selbst, einen Personenkreis also, dem von den Medien ge-meinhin ein Publizitätsvorsprung eingeräumt wird (governmental bias).Ein weiterer Indikator bemisst die politische Ausrichtung der Be-richterstattung an der Ausrichtung der vorgetragenen Argumente. Jedesder detailliert erfassten Argumente in der sachpolitischen Auseinander-setzung kann einer der beiden politischen Positionen, nämlich derjeni-gen, zu deren Gunsten es argumentierte, eindeutig zugerechnet werden.Insoweit lässt sich über die oben präsentierten Auswertungen zur Argu-mentationsstruktur hinaus ermitteln, welche Effekte sich hieraus auf denMedien-Bias ergeben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ausschliesslichsachpolitische Argumente erfasst wurden, die tatsächlich nur in rund 30 Prozent aller kodierten Medienstatements gefunden wurden. DieAuswertung (ohne Abbildung) beruht insoweit auf einer Teilstichprobedes Materials, liefert aber dennoch einen interessanten Befund. Es zeigtsich, dass in jedem der vier Jahre des Untersuchungszeitraums knapp 20 Prozent der medienöffentlich vorgebrachten Argumente gegen dieVerfassungsreform sprachen (2003: 19,3 Prozent), während durch-schnittlich zehn Prozent der Argumente für die Reform mobilisierten(2003: 8,0 Prozent). Zusammen mit den vorgenannten Auswertungenlässt sich schliessen, dass die Repräsentanten des Pro-Lagers zwar einer-seits über einen recht deutlichen Publizitätsvorsprung in den Medien(und vor allem im Volksblatt) verfügten, diese grössere Zahl an Auf tritts - chancen aber andererseits offenbar nicht dazu nutzten, sachpolitischeArgumente für ihre Position vorzutragen, sondern mehrheitlich ander-weitige Erwägungen vorbrachten.Der dritte und inklusivste der verfügbaren Indikatoren bestätigtden Befund der Argumentenanalyse. Er prüft, ob eine Stellungnahme alswertende Aussage in dem Sinne verstanden werden kann, dass sie sicherkennbar befürwortend oder ablehnend gegenüber der Verfassungsre-form äusserte (implicit endorsement). Als Hinweis darauf wurden posi-tiv beziehungsweise negativ konnotierte Begriffe gewertet, die sich auf218Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess
mindestens einen der thematischen Aspekte der Verfassungsdiskussionbezogen. Die Auswertung dieses Indikators (ohne Abbildung) bestätigt,dass eine relative Mehrheit von rund 37 Prozent aller erfassten Spre che-r äusserungen eine ablehnende Haltung gegenüber dem Vorhaben erken-nen liess. Dem standen rund 26 Prozent befürwortende Stellungnahmengegenüber. Dabei schmolz die Prozentwertdifferenz im Zeitverlauf kon-tinuierlich zusammen. Betrug der Saldo in der frühen Phase der Ausei-nandersetzung (2000 und 2001) noch gut 20 Prozentpunkte zugunstenablehnender Stellungnahmen, holte das andere Lager in der Schlussphaseerheblich auf. In den letzten zweieinhalb Monaten vor der Abstimmungbetrug der Saldo bei einem Verhältnis von rund 39 (Ablehnung) zu 29(Zustimmung) noch zehn Prozentpunkte.Um die in den drei Indikatoren enthaltenen Informationen zusam-menfassend auswerten zu können, wurde schliesslich ein summarischerIndex gebildet, der es erlaubt, gut 80 Prozent aller knapp 4000 Äusse-rungen eindeutig zu klassifizieren. Der Index bietet die umfassendsteAuskunft zur Tonalität der Presseberichterstattung im Abstimmungs-konflikt und erhärtet die vorgenannten Eindrücke (Abb. 12).Das Gleiche gilt für den richtungspolitischen bias beider Tageszei-tungen, der bei Verwendung dieses Indikators deutlich wird. Im Jahr derRegierungsübernahme durch die Bürgerpartei entwickelte sich der Te-nor beider Blätter auseinander und blieb bis zum Schluss gegensätzlich(Abb. 13).219MedienöffentlichkeitAbbildung 12: Tonalität der Presseberichterstattung zur Verfassungsreform,2000–2003 (in Prozent)38.8 38.5 36.4 35.1 18.6 14.3 21.0 21.5 42.6 47.2 42.6 43.5 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 2003 (N = 1095)2002 (N = 1798)2001 (N = 608)2000 (N = 392)Pro nicht erkennbar / ambivalent Contra
Zusammenfassend lässt sich bis hierher dreierlei festhalten:1. Über den gesamten Untersuchungszeitraum besassen die profiliertenFürsprecher der Verfassungsreform einen Publizitätsvorsprung ge-genüber den Kritikern. Ursächlich hierfür sind sowohl professionelleSelektionsweisen, die statushöheren Akteuren verbesserte Berück-sichtigungs chancen bieten, als auch die Parteilichkeit der Zeitungen.2. Dennoch war der Medientenor über alle Jahre hinweg mehr oder we-niger deutlich gegen die Verfassungsreform gerichtet. Für diesen ver-meintlichen Widerspruch gibt es zwei einfache Erklärungen: Erstenswar die Mehrzahl der Stellungnahmen «unvoreingenommener» Spre-cher (v.a. Leserbriefschreiber) gegen das Vorhaben des Landesfürstengerichtet. Zweitens macht sich in der Indexierung der Umstand be-merkbar, dass die Befürworter der fürstlichen Vorlage in vielen Fällenauf unterstützende Argumente für ihre Stellungnahmen und Empfeh-lungen verzichteten.3. Die Tonalität beider Landeszeitungen folgte eindeutig parteipoliti-schen Vorgaben. Sie entwickelte sich ab dem Zeitpunkt der Regie-rungsübernahme durch die FBP, der zugleich das Einschwenken derPartei auf den Kurs des Landesfürsten markierte, auseinander.Die von John Zaller (1992) und anderen Forschern geprüfte Annahme,wonach im Falle eines ausgeprägten Dissens der politischen Eliten dieöffentliche Meinung stark ideologisch geprägt sein wird, parteipolitischeund sonstige Prädispositionen also einen vergleichsweise grossen Ein-fluss auf die individuelle Meinungsbildung gewinnen, lenkt die Auf-merksamkeit über Zeit und Zeitungen vergleichende Analysen der To-nalität hinaus auf die Frage, wie homogen oder zerstritten sich die poli-tischen Eliten des Landes in der Medienberichterstattung präsentieren.Dahinter steht die Vermutung, dass sich Elitenkonsens (one message model) beziehungsweise Elitenpolarisierung (two message model) dembreiten Publikum vornehmlich aus der Beobachtung der Medienbericht-erstattung erschliesst. Um zu prüfen, welche Gruppen sich der Liech-tensteiner Öffentlichkeit als einig oder zerstritten präsentierten, wird inder abschliessenden Tabelle 21 die Tonalität der Stellungnahmen ge-trennt für eine Vielzahl von Sprechergruppen ausgewiesen.Der Auswertung liegt die Annahme zugrunde, dass die sichtbaremeinungspolitische Polarisierung innerhalb einer Akteursgruppe dannbesonders hoch ist, wenn exakt die Hälfte ihrer Mitglieder in den Medien220Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess
221MedienöffentlichkeitAbbildung 13: Tonalität der Presseberichterstattung beider Landeszeitungen,2000–2003: Befürwortende Stellungnahmen zum Vorhaben des Landesfürsten(in Prozent)Vaterland Volksblatt 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 2000 2001 2002 2003 38.2 29.4 30.7 28.3 39.6 46.7 43.6 43.0 Tabelle 21: Ausmass der Polarisierung innerhalb einzelner Sprechergruppen (Intra-Gruppenpolarisierung; in Prozent; N = 3893)befür- ab- nicht zu- Polarisierung Zahlwortend lehnend zuordnen / d = %-ambivalent Differenz Regierung 94.1 2.8 3.1 91.4 289Landtag 30.6 59.4 10.0 28.8 729Parteien 29.7 58.8 11.7 29.1 350Fürstenhaus 100.0 – – 100 364Justiz 26.3 15.8 57.9 10.5 19Sonstige politische Sprecher 25.7 45.4 28.9 20.1 280Einzelbürger 27.2 42.8 30.0 15.6 976Vereine, Initiativen 12.2 74.9 12.9 62.7 490Experten 18.2 71.1 10.7 52.9 121Wirtschaft – 28.6 71.4 28.6 7Kirchen – – 100 – 5Sonstige periphere Sprecher 40.0 20.0 40.0 20.0 5Journalisten 14.0 16.7 69.3 2.7 258Legende: Polarisierungswert d = Differenz zwischen befürwortend und ablehnend (positiver Wert). 0 = vollständige Polarisierung; 100 = keine Polarisierung.
die eine Position, die andere Hälfte aber die Gegenposition vertritt. Sindalle oder fast alle Mitglieder einer Gruppe gemessen an ihren presseöf-fentlichen Äusserungen der gleichen Meinung, wäre der Grad der grup-peninternen Polarisierung demgegenüber gering. Die Prozentwertdiffe-renz zwischen beiden Meinungslagern beträfe im erstgenannten Fall aus-geprägter Polarisierung «0», im Falle geringer Polarisierung nahe «100».Als sichtbar polarisiert kann eine Sprechergruppe folglich dann gelten,wenn die Prozentwertdifferenz aller medienöffentlich beobachtbaren zu-stimmenden und ablehnenden Stellungnahmen von Angehö rigen dieserGruppe besonders klein und der Anteil richtungspolitisch unbestimmterÄusserungen unterdurchschnittlich (< 20 Prozent) ausgeprägt ist. Umge-kehrt kann die Aussenansicht einer Sprechergruppe dann als besondershomogen gelten, wenn die Prozentwertdifferenz zwischen ablehnendenund zustimmenden Stellungnahmen auffallend hoch und / oder der An-teil unbestimmter Äusserungen überdurchschnittlich stark ausgeprägt ist.Vor diesem Hintergrund erscheinen den Liechtensteiner Zeitungs-lesern die Repräsentanten des Fürstenhauses und der Regierung als klarpositionierte und zudem extrem homogene Elitengruppen. Für Ersterewurde über drei Jahre hinweg keine einzige abweichende und auch keineeinzige «unentschiedene» Medienstellungnahme erfasst, von Seiten derRegierung gab es so gut wie keine ablehnende und nur wenige unbe-stimmte Äusserungen. Das heisst, die gesamtstaatliche Exekutive, derdas Staatsoberhaupt aufgrund seiner Kompetenzen zuzurechnen ist, tratin der Medienöffentlichkeit als weitgehend monolithischer Block auf,der zu keinerlei Zweifeln an seiner Position Anlass gab und keinerleiHinweise auf abweichende Meinungen innerhalb der ausführendenstaatlichen Gewalt erkennen liess. Dieser Umstand dürfte vor allem aufsolche Personen, die sich durch ausgeprägtes Vertrauen in die Regie-rungsinstitutionen auszeichnen, starken Eindruck gemacht haben.Als weitgehend einig (in der Ablehnung der Verfassungsreform) er-schienen auch die in den Medien als Experten auftretenden Sprecher.Eine hohe Prozentwertdifferenz zwischen Für und Wider weisenschliesslich noch Medienstatements von Vereinen, Initiativen und Komi-tees auf, eine Beobachtung, die auf den ersten Blick verwundern mag.Die Zahlen resultieren aus dem verschiedentlich berichteten Umstand,dass sich die Befürworter des fürstlichen Vorhabens erst spät organisier-ten und öffentlich bemerkbar machten, zuvor aber über Jahre hinweg(bis auf wenige LeserbriefschreiberInnen) aus der öffentlichen Debatte222Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess
herausgehalten hatten: eine – wie sich später herausstellte – «verschwie-gene Mehrheit» (vgl. Marcinkowski 2006). Selbst in den letzten Wochenvor der Abstimmung (1. Januar bis 14. März 2003) betrug die Prozent-wertdifferenz richtungspolitischer Stellungnahmen dieser Gruppe im-mer noch hohe 58 Punkte. Dem steht auf der anderen Seite eine stark po-larisierte Stimmbürgerschaft gegenüber, repräsentiert durch die rich-tungspolitischen Stellungnahmen der Leserbriefschreiber. Eine relativeMehrheit von knapp über 40 Prozent spricht sich gegen die Reform aus,eine starke Minderheit von mehr als einem Viertel aller Erklärungen un-terstützt das Vorhaben. Entzweit präsentieren sich schliesslich auch diepolitischen Parteien und der Landtag. In beiden Sprechersegmenten do-miniert die ablehnende Position, zugleich wird das Vorhaben von jeweils30 Prozent der Aussagen unterstützt. Insgesamt lieferte die Medienöf-fentlichkeit also das Bild grosser Einigkeit und Geschlossenheit derstaatlichen Exekutive bei gleichzeitig ausgeprägter Polarisierung der par-teipolitischen Eliten und einer tief gespaltenen Bürgerschaft.Die Höhe der Prozentwertdifferenzen zwischen den befürworten-den Stellungnahmen einzelner Sprechergruppen (in Tabelle 21 nicht aus-gewiesen) lassen darüber hinaus ein hohes Mass an Inter-Gruppenpola-risierung erkennen. Sie verweisen insbesondere auf einen tiefen Grabenzwischen Exekutive und Legislative sowie zwischen Regierung und Par-teien (jeweils Prozentdifferenz > 60). Das Mass medienöffentlicher Eli-tenpolarisierung wird zusätzlich durch die weit reichenden Meinungs-unterschiede von Experten und Staatsleitung untermauert. Hier beträgtdie einschlägige Prozentwertdifferenz beinahe 80 Punkte. Gut sichtbarist schliesslich auch der Graben zwischen staatlicher Exekutive und Be-völkerung. Insgesamt wird die Spaltung der Gesellschaft, die von derSachabstimmung ausging, von den Medien in aller Deutlichkeit reflek-tiert. Das lässt, Zallers These folgend, eine hochgradig ideologisch prä-disponierte Meinungsbildung erwarten, vor allem bei den starken Me-diennutzern unter den Stimmbürgern.Paid Media: Strategien und Inhalte der KampagnenkommunikationÜber die oben geschilderten Abschlusskundgebungen der beiden politi-schen Lager und die Fernsehsendungen des Landeskanals hinaus wurdedie eigentliche Kampagne in der Schlussphase des Abstimmungskampfes223Medienöffentlichkeit
vornehmlich mit Strassenplakaten und Zeitungsinseraten bestritten.189Das folgende Kapitel vermittelt einen Eindruck der dabei verfolgtenStrategien und inhaltlichen Kalküle. Es beruht auf einer standardisiertenInhaltsanalyse aller abstimmungsbezogenen Zeitungsinserate, die vonden inländischen Printmedien in den letzten elf Wochen vor der Ab-stimmung (1. Januar bis 16. März 2003) veröffentlicht worden sind. Fürden Bereich der bezahlten Zeitungswerbung handelt es sich insoweit umeine Vollerhebung. Die Beobachtung des Plakatwahlkampfes konnte ausforschungsökonomischen Gründen nicht ähnlich systematisch und voll-ständig erfolgen. Allerdings wurden von allen Beteiligten für Inserateund Plakate weitgehend identische Sujets verwendet, sodass zumindestdie Aussagen über Kampagneninhalte und Schwerpunkte bruchlos aufden Strassenabstimmungskampf übertragen werden können.Insgesamt wurden im Untersuchungszeitraum von elf Wochen inden beiden Tageszeitungen und dem Wochenblatt des Landes 218 Inse-rate mit einer Gesamtanzeigenfläche von rund neun Quadratmetern zurVerfassungsabstimmung geschaltet (Tab. 22). Das entspricht ungefähr 90 vollen Zeitungsseiten im landesüblichen Format. Von diesem Anzei-genboom profitierte das Volksblatt am stärksten, das nach Anzahl undUmfang rund die Hälfte der Inserate verbuchen konnte. Im Konkur-renzblatt waren es 43 bis 44 Prozent, der Rest entfällt auf die Gratiswo-chenzeitung Liechtensteiner Woche (LieWo).Was die verfassungspolitische Tendenz angeht, so verteilte sich derInserateaufwand auffallend ausgeglichen (Tab. 23). Nach Anzahl und224Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess189 Die wesentlichen Merkmale der (seltenen) Postwurfsendungen an alle Liechtenstei-ner Haushalte sind weiter oben behandelt.Tabelle 22: Verteilung der Inserate auf Liechtensteiner ZeitungstitelAnzahl Fläche (cm2)Zahl % Zahl %Volksblatt 108 49.5 46 017 50.5Vaterland 96 44.0 39 139 43.0LIEWO 14 6.5 5 931 6.5218 91 087
Fläche sprachen sich jeweils rund die Hälfte der Inserate für die Initia-tive des Fürstenhauses (bzw. gegen den Verfassungsfrieden) und für denVerfassungsfrieden (bzw. gegen die Fürsteninitiative)190 aus. Die annah-megemäss überlegenen finanziellen Möglichkeiten auf der Seite desFürstenhauses führten also nicht dazu, dass die Gegenseite rein quanti-tativ erdrückt worden wäre. Hier hatte die Kampagnenplanung desFürstenhauses möglicherweise aus den Erfahrungen der Unterschriften-kampagne im November / Dezember 2002 gelernt, als man die Printme-dien mit Inseraten geradezu überschwemmt hatte. Der etwas protzigeund mithin abschreckende Eindruck, den diese Demonstration der eige-nen (finanziellen) Stärke im Land hinterlassen hatte, wurde in der eigentlichen Abstimmungskampagne vermieden.Kleine aber feine Unterschiede zeigen sich erst auf den zweitenBlick. Dieser offenbart unter anderem, dass acht von zehn Anzeigen desFürstenhauses und seiner Unterstützer, das entspricht knapp 70 Prozentder gesamten Inseratfläche dieser Kampagne, auf einer der wesentlichteureren Textseite der Zeitungen platziert waren. Auf der Konkurrenz-seite fanden sich rund 60 Prozent der Inseratfläche in den Anzeigentei-len der Zeitungen. Immerhin zehn Inserate (9,1 Prozent) der Fürsten-kampagne finden sich auf der Titelseite (des Volksblattes), weitere 20 Prozent der Inserate auf der begehrten Seite 3. Die Gegenseite brachtekeine einzige Anzeige auf ein Titelblatt und lediglich zwei (1,9 Prozent)auf die Seite 3. Insofern kann man nicht sagen, dass Geld keine Rolle225Medienöffentlichkeit190 Die im folgenden verwendete Unterscheidung zweier politischer «Lager» abstra-hiert von dem Umstand, dass es sich im einzelnen auf beiden Seiten um ein mehr (imFalle der Demokratiebewegung) oder weniger (im Falle der Fürstentreuen) hetero-genes Spektrum politischer Akteure handelte. Tabelle 23: Verteilung der Inserate auf verfassungspolitische «Lager»Anzahl FlächeZahl % Zahl %pro Fürsteninitiative/contra Verfassungsfrieden 108 49.5 46 518 51.1pro Verfassungsfrieden/contra Fürsteninitiative 110 50.5 44 569 48.9N 218 91 087
spielte. Der Faktor drückt sich aber nicht in den quantitativen Propor-tionen, sondern in der finanziell aufwendigeren Platzierungsstrategie derFürstenkampagne aus.191Fragt man, wer im einzelnen inseriert hat, so fällt zunächst auf, dassrund ein Viertel aller veröffentlichten Inserate (das entspricht knapp 18 Prozent der Inseratfläche) anonym geschaltet wurde, also ohne dassder Betrachter der Anzeige sehen konnte, wer dahinter stand und wer siefinanziert hatte.192 Legt man das Kriterium streng aus, so ist der Wertnoch um einiges höher anzusetzen, denn auch die Inseratserie des Fürs-tenhauses («Ja zur Fürstenfamilie») war nicht namentlich gekennzeich-net. Allerdings kann man davon ausgehen, dass der grossen Mehrheit derStimmbürger bekannt war, dass diese grossflächigen Anzeigen in Landes-farbe direkt vom Schloss aus in Auftrag gegeben worden waren. Daherwerden sie in Tabelle 24 entsprechend zugerechnet. Gleichwohl: Rund 25Prozent anonyme Inserate sind im internationalen Vergleich ein ausge-sprochen hoher Wert. Eine vergleichbare Untersuchung zur EWR-Ab-stimmung 1992 in der Schweiz brachte zu Tage, dass unter 5290 Inseratengerade vier Prozent anonym blieben (vgl. Saxer / Tschopp 1995, 133).Der Vergleich verweist auf die in der politischen Öffentlichkeit Liechten-steins weit verbreitete Abneigung dagegen, für eine bestimmte politischePosition oder Meinung offen einzustehen, vor allem wenn es sich um sol-che Ansichten handelt, die in der Bevölkerung als vermeintlich nichtmehrheitsfähig gelten.193 Im vorliegenden Fall übte sich freilich primärdie Unterstützerszene der Fürstenvorlage in Anonymität, denn bis auf226Öffentliche Kommunikation im Abstimmungsprozess191 Für die Strassenplakate trifft dieser Eindruck nur begrenzt zu. Hier war insbeson-dere das Hauptsujet des Fürstenhauses («Ja zur Fürstenfamilie») sowohl hinsicht-lich Anzahl der aufgestellten Plakatwände als auch hinsichtlich Visibilität ihrer Plat-zierung und nicht zuletzt hinsichtlich ihrer Grösse im Strassenbild landesweit dominierend. 192 Das schliesst nicht aus, dass der vertretenen Position in der Anzeige Gesicht,Stimme und Namen verliehen wird (wie in der «Home-Story»-Serie der Pro Fürs-tenhaus-Kampagne). Anonymität heisst insoweit hier nur, dass der Auftraggeberund Finanzier unerkennbar bleibt.193 Mit dem Problem waren während des Abstimmungskampfes auch die jeweiligenUnterstützergruppen beschäftigt. Die Anhänger der Bürgerbewegung DualesLiech tenstein blieben – obwohl die Sprecher ständig neue Rekordzahlen verkünde-ten – überwiegend anonym, was nach aussen damit begründet wurde, dass die Be-wegung die «schweigende Mehrheit» repräsentiere. Der Verfassungsfrieden hattevor allem während der Unterschriftenkampagne grössere Probleme, weil er sich bei